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Kunstwart und Kulturwart — 27,2.1914

DOI issue:
Heft 9 (1. Februarheft 1914)
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Ullmann, Hermann: Naturschutzgebiete für Menschen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14288#0235

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NaLurschutzgebiete für Menschen

/^v^ir sind stundenlang auf unsern Schneeschuhen durch die starre
v HFrosteinsamkeit geglitten, durch eine Natur, die uns, endlich wieder
einnral, mythische Umrisse, Argestalten, heilige Wildnis zeigt.
Wir sind ganz still geworden, und vertieft in die harte Arbeit unsrer
angespannten Sinne, unsrer durch den Nebel spähenden Augen, unsres
ganzen alle Kräfte sammelnden Körpers. Kaum ist es uns in den glück--
lichsten Stunden gelingender Arbeit oder naher Gemeinschaft mit lieben
Menschen gegönnt, so unsrer Natur und inneren Iugend uns zu sreun.
so unser selbst getrost zu sein wie in dieser Einsamkeit. Nnd wir fühlen,
wie not uns solche völlig vom Gewöhnlichen gelöste Feierstunden, solche
Blicke in die Urheimat tun, uns trotz aller Gegenwehr so künstlichen
Menschen.

Spät am Abend, da der Weiterweg schon Gefahren bringen würde,
suchen wir eine Baude auf. Sie ist gefüllt bis zum letzten Winkel.
Wir müssen froh sein, ein Notlager zu bekommen: auf der Wanderung
ist man's gern zufrieden. Schließlich freut sich mancher, der noch nie
einen solchen Bauden--„Betrieb" gesehn hat, zunächst auch darüber, daß
soviele Menschen jetzt schon sich in die winterliche Natur herauswagen.
Freilich: sobald man in die Gaststube tritt, wird diese Freude wesentlich
gedämpft. Da sitzen unsre mit Recht so beliebten Volksgenossen aus
gewissen großen nord- und mitteldeutschen Städten, mit jener Redegewandt«
heit, durch die sie uns Deutsche auf Reisen im Ausland so wirksam ver-
treten, mit jenen Parvenümanieren, die von unsern zahlreichen guten
Freunden mit gründlicher Schadenfreude als das Kennzeichen des neuen
Deutschen beobachtet werden, und mit jener selbstbewußten Ellenbogenkraft,
vor welcher die wenigen feineren Menschen, die voll Nnbehagen dazwischen
sitzen, einfach verschwinden. Denn das ist ja das Wesen dieses sympathischen
neudeutschen, in die Abmessungen unsres Weltwirtschaftsbewußtseins über--
setzten Spießbürgers, daß er jeden Raum, den er betritt, „beherrscht".
Auf ihn ist auch diese sonst gewiß biedere Baudenstube jetzt abgestimmt.
Allerhand Firlefanz, wie er ihn bei den beliebten Bockbierfesten gewohnt
ist, „schmückt" das Gebälk, auf einem Podium sitzen drei sehr echt an--
mutende „Steirer" (wir sind ja an der österreichisch-schlesischen Grenze)
und singen zu Zither, Klavier und Gitarre die neuesten Berliner Schlager.
So hat es der Neudeutsche ganz wie zu Hause. Ganz wie zu Hause.
Nur daß, zur Erhöhung der Feststimmung, die Damen die Sporthosen
tragen, in denen sie doch wohl kaum von zu Hause weggefahren sein dürften.
Sonst pflegt man seinen geliebten Gewohnheiten: man „trinkt" zehn bis
zwölf Glas Bier, man „singt" die Zoten der „Steirer" mit und am Schluß
tanzt man im Sportkostüm Tango — was besonders den Damen vor--
züglich steht.

Wir sprachen in den nächsten Tagen öster mit Gebirgsleuten: vor
ihrem Kopfschütteln konnten wir uns für die Städter schämen. So er--
zieht der „Gebildete" das Volk. Ein sehr tüchtiger Gebirgsbauer sagte
mir sorgenvoll: „Seit die Fremden in unsre Gegend kommen, führen
die Mädchen Redensarten, daß wir Mannsleute uns genieren möchten.^

Dieser gutgekleidete, manchmal parfümierte, vorzüglich essende Pöbel
aus der Stadt, der sich noch dichter als auf den Bauden in den bequemer
erreichbaren Orten im Tale sammelt, nimmt nichts, aber auch gar
 
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