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Kunstwart und Kulturwart — 27,2.1914

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Heft 12 2. Märzheft 1914)
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Schmidt, Georg: Neue Aufgaben für die deutsche Jugend
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https://doi.org/10.11588/diglit.14288#0515

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Neue Aufgaben für die deutsche Jugend

ls Sternickel in Frankfurt an der Oder vor den Geschworenen saß,
7^/1 kam ich zu einem Bauern nicht weit von dieser Stadt. Den ersten
Gesprächsstoff bildeten natürlich die Gerichtsverhandlungen.

„Wie solch unheimlicher Gesell nur von irgend jemand als Knecht
genommen werden konnte^, meinte ich. „Was soll man denn machen?
Wenn Sie wüßten, wen man alles nimrnt, wenn die Arbeit drängt!
Strolche ohne Papiere und Kerle, denen die Gemeinheit aus den Augen
sieht."

Man hört jetzt viel vom Idealismus der deutschen Iugend. „Wir wollen
uns nicht an hohen Worten berauschen, wir wollen nicht nur am fernen
Äbermorgen fürs Vaterland sterben, wir wollen heute und morgen fürs
Vaterland leben.«

Ich habe einen Vorschlag. Wir deutschen jungen Männer, Studenten
und höhere Schüler wollen, statt in den Sommerferien im Seebad zu
faulenzen und zu flirten, oder auf der Wanderung übers Land uns selbst
und die Natur zu genießen, wir wollen dem Bauern helfen, dem die
Leutenot immer schwerer zu schafsen macht.

Der Vorschlag ist nicht so unausführbar, wie manchem scheinen mag.
Er ist auch nicht ganz neu. Er ist aber gerad in diesem Iahre zu wieder-
holen, um die vielen Schwätzer ein wenig einzuschüchtern. Der Vor-
schlag ist ausführbar. Ich weiß von mancher Wandervogelhorde, die im
Sommer, wenn Gewitter drohte, selbst mit Hand anlegte, daß die Garben
nur so auf den Wagen flogen. Von Iena aus waren jetzt auch schon
in den beiden letzten Iahren je sechs bis zehn Mann in dem Orte unsres
Landheims, um dort den Bauern einige Wochen zu helfen. Ich könnte
noch mehr Fälle anführen, wo bereits von „Städtern" längere Zeit auf
dem Lande gearbeitet wurde.

Freilich, so ganz angenehm und dekorativ ist diese Arbeit nicht, wie
die, staatserhaltende Reden auf Völkerfreiheit und Vaterlandsliebe zu
halten. Zunächst tut einem das Kreuz brav weh und man denkt daran,
„das" bald wieder aufzustecken. Du, sporttreibende und turnende Stadt-
jugend, kannst da zeigen, ob deine Körperpflege die vielgerühmten Eigen-
schasten entwickelt.

Die Vorteile, die sich aus solcher Erntearbeit-Einquartierung ergeben,
sind recht bedeutend. Die Berührung der Volksschichten wirkt beiden
Teilen förderlich. Der Student lernt den Anschauungskreis und die Lebens-
bedingungen des Bauern kennen. Die körperliche Beschäftigung in Sonnen-
glut und Wind und Wetter kann ihm nur dienlich sein, er wird zum
Beispiel in den feinen Schichten später aufräumen mit der Vorstellung,
als wäre das ganze Leben des Landmanns ein naives Idyll. Was ernste,
heilige Arbeit ist, werden ihm seine schwieligen Hände sagen, und er
wird Ingrimm fühlen über jene Leute von der „Gesellschaft", für die der
„Bauer" nur ein Maskeradetyp ist, den sie selbst bei ihrem „Interesse"
für das „Volk" darzustellen sich bemühen, wenn gerad schäfernde Tändelei
Mode ist. Der Bauer wird von dem an geistiger Bildung höherstehenden
Hilfsarbeiter auch manches lernen, denn es werden gewiß nicht die Schlech-
testen sein, die persönliche Mühen nicht scheuen, um durch eine Umwertung
in der Einschätzung der Landarbeit der Volksgemeinschast einen Dienst
zu leisten. Die Iugend, die sich hier freiwillig zur Arbeit stellt, kann
 
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