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Kunstwart und Kulturwart — 27,2.1914

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Heft 11 (1. Märzheft 1914)
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Schumann, Wolfgang: Fünf österreichische Romane
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.14288#0437

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und die zu reineren Sphären besrinunte, so innerlich wie leiblich schöne
Tochter des Volks, alle vier treten einzeln und in ihren rnannigfachen
Beziehungen deutlich hervor, trotz der Mannigfaltigkeit der Schicksale,
trotz des bunten Wechsels der Szene und Stimmungen, in denen Adolph
eine so bedeutende Gabe der Erfindung, so viel Humor, Klugheit, Witz und
Äberlegenheit ohne hochfahrende literarische Gestikulation beweist, daß
mancher Lafshausliterat seiner Vaterstadt davon monatelang zehren könnte.
Rnd welche Klarheit des dichterischen Zeichnens liegt hier über der Mehr-
zahl der Bebengestalten, über dem prachtvollen Fiaker Brückl, dessen in
sich gekehrte Art anschaulich zu machen ein wahres Kunststück war, über
dem fröhlichen Stück von der heiteren Bürgerhochzeit, über dem Vater
Poldis, über der „Standratschn" oder dem Drahrer Müller. An künst-
lerischem Gelingen, künstlerischer Vegabung übertrifft dies Werk leicht
alle hier genannten, trotz seiner sentenziösen und tendenziösen Einlagen,
die der Dichter mit so viel stilistischer Gezwungenheit und menschlicher
Selbstbeherrschung gebildet hat. In ihnen zeigt sich seltsamerweise gegen
Adolphs Wiener „Haus Br. 57«, das die Kunstwartleser vor einigen.
Iahren kennen lernen konnten, ein Rückschritt; diese Art moralischen
Feuilletons, von der das liebenswerte, altwienerische „Schackerl«-Buch
Adolphs lebte, ist an sich nicht so unerfreulich; in ihm liegt vielleicht
für ein Volksbuch — und ein Volksbuch ist diesem Lrben Raimunds in
des Wortes höchster Bedeutung gelungen! — sogar ein wichtiges Moment,
da die grenzenlose, auf das Edelste gerichtete Liebe darin doch vorherrscht.
Trotzdem wird dies Zwischenreden des Verfassers die künstlerische Existenz
des Ganzen eher gefährden als die Vergänglichkeit des Stoffes. Der
SLoff heißt — Wien. Und für die Wiener Bibliothek, die ich jedem
empfänglichen Deutschen wünschen möchte, ist dies Werk ein hochbedeut-
samer Zuwachs. Ein Zuwachs von unten. Die „höheren« Kreise Wiens
haben uns manche Adlige, unter ihnen Marie von Ebner-Eschenbach,
geschildert; das deutsch-jüdische Wien und vieles mehr lebt in Schnitzlers
dichterisch hochstehenden Werken und in manchen Davids. Die Cafshaus-
literatur, von zahlreichen Ablegern Schnitzlers und Musketenhelden eifrig
gepflegt, kann der Fremde getrost entbehren, es sei denn, sie erhebe sich
über ihr Niveau wie die Altenbergs, die so unendlich viel mehr will
als die übliche. Das bürgerliche, deutsche Wien haben Lux, Decsey, Bahr,
Bartsch und Andre uns nahegebracht. Das proletarische in all seiner
Not und blutenden Schönheit der soziologisch stärkste dieser Dichter, Karl
Adolph. Wien ist ein Spiegel Österreichs. Von hier aus ist tausenderlei
im Habsburger-Reich bestimmt, das Reich von sich aus bestimmt tausenderlei
Wienerisches. Es ist daher nicht unbillig, eine Abersicht, welche nicht
die letzte ihrer Art bleiben soll, mit einem Buche zu schließen, dessen
Kreis scheinbar so eng ist, ohne es in Wahrheit zu sein.

Wolfgang Schumann

Blätter

Aus KarL AdoLphs Wiener Roman ^Töchter"

sWir geben aus dem oben besprochenen Wiener Roman hier die beiden
ersten Kapitel wieder, zu deren Erklärung wohl nichts gesagt zu werden

56H
 
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