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Kunstwart und Kulturwart — 27,2.1914

DOI Heft:
Heft 8 (2. Januarheft 1914)
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Barkow, Johannes: Die reinen Toren und ihr Beruf, [2]
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.14288#0141

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nach dem lebendigen Wasser des Ideals. Sie verzagen nicht an der
Mission des echten Christentums auch in unsern Zeitläuften; denn sie
fühlen die Wirkung des vollkommensten reinen Toren an ihrem eigenen
Wirken und Werden. Die Kraft des Sauerteigs ist in ihnen, des alles
durchdringenden, und sie sind die Männer dazu, sie in Arbeit umzu-
setzen. I. Barkow

Lose Blätter

Aus Agnes Günthers Roman ^Die Heilige und ihr Narr"

/-^^och vor wenigen Iahren hätte der rasche und starke Ersolg eines
/ Buches, wie dieses ist, etwas Äberraschendes gehabt. Heute ist eine
^ v^neue „religiöse Bewegung", heute sind so manche auf Verinner-
lichung zielenden geistigen Bewegungen schon so anerkannt, daß man
weiß, wo das Publikum für dies fromme, geistige Werk zu finden ist.
Ilnd es ist vielleicht schon nicht unangebracht, zu betonen, daß sich Frommes,
Geistliches und Lebenswahrheit, dichterische Gestaltung darin zu einem
weit über rein religiöse Kreise hinaus wertvollen Ganzen vereinen. Grund-
sätzlich steht dieser Roman wohl über allem betont Konfessionellen,
und das ausgesprochen religiöse Erleben der Trägerin aller Handlung
darin hat eine innere Durchbildung, Fülle, Glückhaftigkeit und Lebens«
kraft, daß in seelisch überhaupt Empfänglichen wenigstens während des
Lesens Widerspruch wohl kaum wach werden dürfte.

A^us einer großen Stille ist diese Dichtung geboren. Von einer zarten,
^schlackenlos reinen Stimme ist sie gesprochen, ganz in der Gegenwart-
form, ganz unmittelbar von der, die es schaute, dem Horchenden hingesagt.
Von einer Stimme, die im Chaos moderner Marktschreier nicht verzagt,
die mutig an das Innerste des Horchenden rührt und für gewiß nimmt,
daß es ihre Botschaft vernehmen wird. Diesen Klang vernehmen wir
nur, wo innerlich Gereiftes, voll Durchdachtes sich ausspricht, kein hastig
Suchender hat ihn je seinem Werk verleihen können. Auch der große
religiöse Roman Gerhart Hauptmanns hat ihn nicht, so wenig wie Tren-
tinis leidenschaftschöner „Letzter Sommer". tzier spüren wir nicht den
Trieb, Durchdachtes, Durchschautes zu gestalten, hinter den Zeilen, nur deu
liebenswertesten Wunsch, teilnehmen zu lassen am Gewinn jahrzehntelanger
innerer Entwicklung und Lebensgestaltung. Dennoch teilt sich dies nicht
in Formeln und Lehren mit; was der Horchende erfährt ist nicht zuge-
spitzte Erkenntnis; es ist ein Märchen vom Reichtum der geistigen, auf
das Innere gestellten Seele. Die Stimme wird nicht müde, in bunten,
lieblichen, schrecklichen, unscheinbaren und wirkungstarken Erfindungen die
Herrlichkeiten zu schildern, die dem stillen, dem jungen, dem unverbil-
deten Menschenkinde gegeben sind. Die Herrlichkeiten, denen nach Menschen-
weise die stärksten Schmerzen gesellt sind. Was sich der Beglückten, die
damit beglücken darf, erschließt, sind die alten, nie veralteten Dinge:
Iugend, Natur, Schönheit und Kunst, Lachen und Weinen, Einsamkeit
und Hingabe an das Du, Erhebung und Bedrücktheit, höchste Lust und
tiefste Bitternis, Verzicht und Hoffnung, Liebe und Glaube, Tod und
 
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