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Kunstwart und Kulturwart — 27,2.1914

DOI Heft:
Heft 9 (1. Februarheft 1914)
DOI Artikel:
Schmidt, Leopold: Vom "freien" Parsifal
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https://doi.org/10.11588/diglit.14288#0232

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Vom „freien" Parsifal

ichard Wagners letztes Vernrächtnis beschäftigt die musikalische Welt

noch immer aufs lebhafteste. Zwar ist das äußere Schicksal des
^ ^Bühnenweihfestspiels mit Ablauf des Iahres (9(3 entschieden; der
Staat hat sich die Ausfassung der Erben von Bayreuth nicht zu eigen ge--
macht, und mit den andern Werken des Meisters ist anch der „Parsifal",
von keinem Ausnahmegesetz geschützt, dem Volke und damit der Opernbühnr
freigegeben. Auch wer dies bedauert, muß sich mit der Tatsache abfinden.
Nun wendet sich die Teilnahme um so ungestümer den, wenn ich so sagen
darf, profanen Ausführungen zu, mit denen die Theater, die kleinen wie
die großen, in Wettbewerb treten. Berlin und Prag bieten sogar das Bei-
spiel, daß zwei Bühnen in derselben Stadt sich auf die lang erlauerte Beute
stürzen. Dekorationen, Kostüme und Requisiten waren bereit gehalten, die
Rollen einstudiert, und pünktlich mit dem ersten Ianuar schlug man los.
Der erbitterte Kamps um das Aufführungsmonopol hatte ähnlich dem
Zensurverbot eines Buches dem Werke den größten Dienst geleistet und
die Sensationslust wachgerufen oder doch gesteigert. Man gibt den „Parsi--
fal" allabendlich wie eine Operette, und ganze Serien von Aufführungen
sind im vorhinein ausverkauft. Tausende und Abertausende, die nicht nach
Bayreuth pilgern konnten, sehen endlich ihren Wunsch erfüllt, das Werk
in lebendiger Anschauung genießen zu können; nicht weniger lockt die
Neugierde, wie wohl der „Parsifal" sich außerhalb Bayreuths ausnehmen
mag. Nur wenn der erste Ansturm vorüber ist und der Betrieb wieder in
ruhigere Bahnen einlenkt, wird sich ein sicheres Urteil über die Lebens-
fähigkeit des „Parsifal" auf dem Theater und die Stellung der großen
Menge zu ihm gewinnen lassen. Nach den Eindrücken der ersten Berliner
Aufführung am Königlichen und am Deutschen (Charlottenburger) Opern-
haus läßt sich vorläufig etwa folgendes feststellen.

Von allen dramatischen Schöpfungen der Neuzeit (wenn wir von den
als Mysterien und geistliche Schauspiele bezeichneten, also in den Dienst
der Kirche gestellten absehen) geht der „Parsifal" am weitesten in der Dar-
stellung des Heiligen, sonst der Bühne und ihren Zwecken Entrückten. In
den Gralsszenen erklingen die Einsetzungsworte des Abendmahles, aus der
Gestalt Parsisals leuchtet nicht nur für die erlösungsbedürftige Kundry,
sondern auch für den Zuschauer die Gestalt Christi hervor, eine Symbolik,
die durch die vor Augen geführte Fußwaschung noch an greifbarer Deutlich-
keit gewinnt. Es hat seit dem Bekanntwerden des Werkes nicht an
Stimmen gefehlt, die ihre Bedenken dagegen erhoben, und die Befürchtung
lag nahe, daß bei Darstellungen auf Theatern, denen nicht die gleiche Ab-
gekehrtheit vom Alltagsleben, nicht die gleiche traditionelle Weihe eigen
wie Bayreuth, religiöse Empfindungen leicht stärker verletzt werden könnten.
Indessen Wagners Werk birgt in sich zu sehr einen ethischen Kern, der
Ernst, der von ihm ausgeht, ist zu echt und zwingend, als daß in dem
unbefangenen Zuschauer ein Gefühl der Profanation aufkommen könnte.
Es sind lediglich bildliche Eindrücke, die wir empfangen, und es ist nicht
einzusehn, warum sie im Drama minder erlaubt sein sollten als in der
Malerei, deren Heiligenbilder wir ja nicht nur in der Kirche, sondern auch
in weltlichen Galerien auf uns wirken lassen. Hat doch die Kirche selbst
zu keiner Zeit die Hilfe jener Eindrücke verschmäht, die auf die Phantasie
wirken, zumal die katholische Kirche, deren Zelebrationen sich der besten

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