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Kunstwart und Kulturwart — 27,2.1914

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Heft 10 (2. Februarheft 1914)
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Schmidt, Leopold: Die Operette
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Walzel, Oskar: Hermann Bang
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https://doi.org/10.11588/diglit.14288#0315

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sangsposse, meist aber verstecktes Kabarett. Den niedrigen Instinkten des
Geschmackes wird damit gehuldigt, der Gedanken- und Interesselosigkeit
des Publikums, das sich möglichst bequem amüsieren will, und letzten
Endes auch die Operette zum Kino verpöbeln wird. Die Lehar, Fall,
Oskar Strauß usw. sind ganz gewiß nicht unbegabte Musiker; aber sie
haben ihr Erbe schlecht verwaltet. Wie bedauerlich das ist, muß jeder emp«
finden, der sich dem Lsprit und der Anmut der älteren Operette nicht aus
engherzigen ästhetischen Prinzipien verschließt, und der sich Lewußt ist,
daß dieses Kunstgenre einst ein Zweig des musikalischen Dramas gewesen
ist und reiche Entwicklungskeime in sich trug. Die Operette der Zukunft
müßte sich erst wieder ihren Stil, den Stil unsrer Zeit suchen. (Was
wohl herauskäme, wenn ein Genie wie Richard Strauß in launiger Stunde
einen solchen Versuch unternähme?) Sie müßte sich aber auch erst geeignete
Künstler heranbilden nach einer jahrzehntelangen Degradierung der Ope-
rettensänger, die ihren eigentlichen Aufgaben völlig entsremdet sind; und
sie müßte auf die Hilfe derer rechnen können, die ihr den Weg in die
Offentlichkeit zu bahnen und ein verständnisvolles Publikum dafür her-
anzuziehen berufen sind. Leopold Schmidt

Hermann Bang

ofmannsthals Terzinen »Äber Vergänglichkeit" klagen:

. . . daß ich auch vor hundert Iahren war
And meine Ahnen, die im Totenhemd,

Mit mir verwandt sind wie mein eignes tzaar,

So eins mit mir als wie mein eignes Haar.

In Hermann Bangs „Hoffnungslosen Geschlechtern" stehen dieSätze:„Er
fing an die Namen und die Wahlsprüche zu lesen. . . . Mit jeder neuen
Iahreszahl schien ihm die Familie an Größe zu gewinnen; es war also
kein Traum gewesen, wenn er alle Zeiten mit der Berühmtheit seines
Geschlechtes bevölkert hatte. ... Da fiel sein Blick auf das Wappen
des Stammvaters und des Sohnes und der Enkel. . . sie waren ja die
Kämpen, die Dänemarks Thron gezimmert hatten . . . Beständig, solange
Dänemark bestehen würde, solange würde auch ihr Andenken leben."

Der Gegensatz der beiden Bekenntnisse liegt auf der Hand. Hier der
berechtigte Stolz des Abkömmlings einer Familie von Helden und Staats-
männern, dort die drückende Pein eines Nachfahren, dem sein eigenes
Ich ins Ungewisse verflattert, weil er in sich nur die Wirkung und
das Ergebnis einer endlosen Neihe von Menschen erblickt, die zum großen
Teil längst dahingegangen sind. „Was ist denn an dem ganzen Wicht
Original zu nennen?"

Ein Iahrhundert, das der Vererbung starke, fast überstarke Aufmerksam-
keit schenkte, eine Zeit, deren Dichter die Seelen ihrer Geschöpfe nach den
Grundsätzen der Vererbungslehre formten, mußte endlich zu den trüben
Stimmungen der Terzinen Hofmannsthals leiten. Woher sollte auch das
stolze Bewußtsein kräftiger Tatmenschen kommen, die kühn eine neue Welt
mit sich eröffnen und den Staub der Iahrhunderte mit starker Lunge
wegblasen? Historismus und Vererbungstheorie duldeten nicht länger das
kecke Wort: „Die Welt, sie war nicht, eh ich sie erschuf!" Darum konnte auch
Hermann Bangs stolzes Bewußtsein, der Enkel von Dänemarks Thron-
zimmerern zu sein, jederzeit umschlagen in die bedrückenden Gedanken,

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