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Kunstwart und Kulturwart — 27,2.1914

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Heft 9 (1. Februarheft 1914)
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Wilhelm, Karl: Gutes aus dem Osten?
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Martin Andersen-Nexö
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https://doi.org/10.11588/diglit.14288#0228

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Slawen so leidenschaftlich verfochten haben, irgendwie verwirklicht werden
(ob in der von ihnen vorgeschlagenen politischen Ordnung ist nebensächlich),
wird einmal eine Wirtschastsordnung landwirtschastliche und industrielle
Arbeit vereinigen, und dem heimatlosen Arbeiter Heimat geben? Wenn
ja, so wird der Historiker späterer Zeiten beim Rückblick auf unsere Tage
nicht verstehn, wie Deutsche voll nationalen Empfindens gerade an
jenen Anfängen achtlos vorübergehen konnten, die eine wahrhaft nationale
und kulturelle Entfaltung ganzer Menschen zum Ziele hatten. Was die
Zukunft bringt, wissen wir nicht, aber wir meinen wohl, daß man achtsam
die Blicke auch auf den Osten richten sollte. Auch von dorther kann uns
Gutes kommen. Karl Wilhelm

Martirr Audersen-Nexö

^EW^ie bis zum Iahre ins Deutsche übersetzten Werke Martin
^x^Andersens rechtfertigten noch kaum mehr als eine warme Sympathie.

^"^Ihr Verfasser gehörte zu der guten Schule der jüngeren Dänen, die
mit klarem Sinn das Wirkliche erfassen, es ohne Weichmut aber mit
schlichtem und starkem Lmpsinden wiedergeben und durch eine saubere,
etwas kurzatmige Sprache rasch erkennen lassen, daß sie als Schilderer
und Gestalter jederzeit deutlich wissen, was sie tun und wollen. Andersen
kam zuerst nicht als Dichter, sondern als Reiseschriftsteller; seine „Sonnen-
Lage", Reisebilder aus Andalusien, gehörten mit ihrer hellhörigen Inner-
lichkeit und ihrem sonnenfrohen Atmen zum Ergötzlichsten, was wir in
dieser Gattung haben. Der Roman „Sühne", der dann folgte, hatte im
Deutschen wohl kein Daseinsrecht — solche Rückblickstimmungen, Leid und
Lust im Sinnen des Alters, gemischt mit einem Stück eigner Gedank-
lichkeit, haben andre Landsleute Andersens uns aus Tieferem und Rei-
cherem geschenkt. Lin paar Züge allerdings ließen Persönlicheres ahnen:
das herb wiedergegebene Schicksal eines Dienstmädchens, ein paar stark
belichtete Einblicke ins Proletarierleben traten aus dem Rahmen der Er-
zählung. Die „Bornholmer Novellen" führten dann in die Heimat des
Verfassers. Hier standen neben studienhasten SLücken ein paar Zeich-
nungen aus dem Bauernleben, welche wiederum eine innigere natur-
krästigere, minder „poetische^ Vertrautheit verrieten. Die Sammlung
„Küsten der Kindheit" hielt sich im gleichen Bezirk, und hätte der Äber-
setzereiser nun nachgelassen, so wäre Andersen für uns neben manchen
Landsmann zu stehen gekommen, den kennen zu lernen nicht mehr lohnte,
als manchen annoch unbeachteten Deutschen. Der „Lobgesang aus der
Tiefe" erst klammerte sich mit streng und klar wiedergegebenen Bildern
des Elends, mit einem heißen und verbissenen Ton von energievollem
Mitlebenlassenwollen, mit einer Beimischung selbstquälerischer Energie
dauernd in unsere Erinnerung. Dieses Buch vergißt nicht, wer es mit
ausmerksamem Herzen las. Seine sünf Stücke entbehrten jedes Zierats,
jeder künstlichen Stoffanordnung, aber ihr Lebensgehalt war blutvoll genug,
um unser Blut rascher zu bewegen.

Run aber liegt ein Werk vor, das mit seinem glutenreichen Orchester-
ton vielleicht sogar den scharfen „Lobgesang" in unserm Ohr verdrängen
wird: „Pelle der Eroberer", ein zweibändiger Roman von drei-
zehnhundert enggedruckten Seiten. And zugleich stellt sich damit An-
 
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