Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 27,2.1914

DOI issue:
Heft 7 (1. Januarheft 1917)
DOI article:
Avenarius, Ferdinand: Volk und Heer
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14288#0016

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
land irnmer bereit hielt, jetzt tun das alle. Und jetzt treten als Ge«
meine auch nicht nur die „Geringsten" ins Heer, sondern dieGesunden und
moralisch Tüchtigen aus allen Kreisen. Das Heer aber hat aus dieser
Veränderung seiner Voraussetzungen nicht alle Konsequenzen gezogen. Die
Aberlieferung wirkt in ihm durchaus in der früheren Richtung sort, obgleich
die tatsächlichen Anterlagen in den Gesetzen und den Verhältnissen schwan-
den. Wir haben zwei Stände im Heer. And dabei ist wieder zweierlei
das Wichtigste. Zunächst: der geringere dieser Stände, der der Mann-
schaften, ist nur für irgendwie Bevorrechtete ein Abergangs-, für alle
übrigen ist er innerhalb des Heeresganzen ein geschlossener Stand. Dann
aber: die Verschiedenheit zwischen den beiden liegt nicht etwa nur im
Maß der Rangordnung, liegt überhaupt nicht nur in einem Weniger oder
Mehr, sondern er liegt im Wesen. Für den Stand der Offiziere werden
vom Feldmarschall bis zum jüngsten Leutnant andre Lebensregeln, andre
Ehranschauungen, sogar, wie bei der Duellfrage, andre Auffassungen der
religiösen Gebote vorausgesetzt, als für den Stand der Mannschaften.
Es sind zwei so weit geschiedene Länder, daß in dem einen sittliche For-
derung sein kann, was in dem andern verwerflich ist.

Zwei Stände im Heer, wir können mit einiger Abertreibung schon sagen:
zwei „Kasten", darin liegt das Künstliche, das der Volksentwicklung Wider-
sprechende, das Annatürliche, — das Unheimliche. Ich glaube nicht, daß
es recht und klug ist, diesen Sachverhalt immer wieder zu leugnen. Ob
die beiden Stände gut, ob sie vielleicht sogar vortrefflich miteinander aus-
kommen, ist ja eine ganz andre Frage. Sie sind aufeinander angewiesen und
verbündet, aber es gibt außer für Einjährige und Offiziersaspiranten keine
Brücke über die Kluft dazwischen. Anter heutigen Bedingungen kann wahr-
scheinlich der „gewöhnliche" Anteroffizier nicht Offizier werden, obgleich ein
Dienst von der Pike auf anging, als im Volk die Standesunterschiede noch
viel größer waren, als jetzt. Er ging an nicht nur im napoleonischen Heer
mit dem Marschallstab im Tornister, auch in der preußischen Armee, wie
er in vielen Heeren noch angeht, während bei uns die Talente zum
Offizier im Mannschaftstande ungenutzt bleiben. Davon verstehe ich
nichts, aber für unsern heutigen Zusammenhang ist die Tatsache
wichtig. And: daß sie uns gar nicht merkwürdig vorkommt. So
selbstverständlich ist uns schon die Zweiheit geworden. Wie tritt sie
bei dem Ehrbegriffe zutag! Der jüngste Offizier schon soll fein Ehrgefühl
in besonderer Richtung verfeinern, und wenn er seine Ehre verletzt glaubt,
so hat er nach Standesauffassung das Recht, ja die Pflicht zur Selbsthilfe,
das heißt zum Entscheiden in eigner Sache, und zwar bis zur äußersten
Konsequenz. Das heißt: auch das bürgerliche ethische Gesetz gilt dann
für ihn nicht. Bei Beleidigungen unter „seines Gleichen" kommt's, wenn
der Ehrenrat nicht helfen kann, zum Duell. Der Mann ohne Portepee
jedoch, den er beleidigt, soll sich beschweren, und wenn er, etwa als Feld-
webel, vielleicht doppelt so alt ist als der. Der Duellzwang ist nur für die
Offiziere da, ein Anteroffizier oder gar Gemeiner darf auch nicht infolge
einer tödlichen Beleidigung auf den Gedanken kommen, den Offizier zu
fordern. Ich weiß: die Disziplin, die Subordination verbieten das, bei-

2
 
Annotationen