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Kunstwart und Kulturwart — 27,2.1914

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Heft 7 (1. Januarheft 1917)
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Avenarius, Ferdinand: Volk und Heer
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https://doi.org/10.11588/diglit.14288#0017

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spielsweise im englischen Heer aber ist allen das Duell verboten, bei uns
ist zweierlei Maß. In solchem Grade, daß der Offizierstand desselben
Staates, der doch die religiösen Gebote als die heiligsten von allen ehrt,
von seinen Offizieren ein Sündigen gegen diese Gebote unter Um-
ständen mit geschriebenen oder ungeschriebenen Besehlen verlangt.
Der Kriegsminister fühlt nicht die zum Lachen reizende Komik für den
Beschauer dabei, daß ein Leutnant von Bewaffneten geschützt, Schokolade
einkauft, und nicht das für uns andre Würdelose dabei, wenn das Militär
schimpfenden Straßenjungen nachjagt. Aber das deutet ebensowenig
darauf,-daß er, der Minister, ein törichter oder übelwollender Mann sei,
wie wenn er bei der Beleidigung dieses Leutnants betont, daß er dem Be-
leidiger „den Degen durch den Leib stoßen" müsse. Sondern es bestätigt
beim Kleinen so gut wie beim Großen nur: daß für das Denken vor-
tresflicher Männer der Offizierstand ein Gebiet ist, mit dessen Betreten
der Geist sich sofort anders einstellt. Ein Staat im Staat, den der
Stand aus sich selber, aus seiner Aberlieferung und seiner Aufgabe,
nicht aber aus den allgemein menschlichen, ethischen und religiösen Idealen
des Volkes umher entwickelt hat.

Nun liegt es ja glücklicherweise so, daß der Mensch im Offizier auch noch
da ist, und zwar weitaus in den meisten Fällen der gesunde, tüchtige, und
in allen Fällen: der in Selbstzucht geübte Mensch. Der meidet Konflikte
zwischen seinem Menschentum und seiner Offiziersehre als ein Unglück.
Aber gerade da fließt wieder eine Ouelle der Absonderung. Man meidet
den Verkehr, wo man nicht die gleichen Anschauungen voraussetzen darf.
Man bleibt unter sich, man löst sich vom Volke, — man löst sich dadurch
von der Zeit. Man hat gesagt: „Der deutsche Leutnant ist überall
derselbe", meist findet wohl in der Tat oft erst der reifende Mann im
Offizier ein näheres Verhältnis auch zu Land und Volk. Das Hin und
Her infolge der Versetzungen erschwert ihm das Heimischwerden ja auch so
sehr, daß schon dieses Wort vielen sonderbar klingen muß, und Frau und
Kinder leiden mit darunter. Man heimt sich mühsamer als ein andrer
ein, oft zu spät, mitunter gar nicht. Die große Mehrheit aber, die das
Verhältnis zum Volke bestimmen, sind ja gerade die jungen Offiziere. Die
leben, zunächst als junge Menschen überhaupt vom Glänzenden am meisten
geblendet, unter sich und „ihres Gleichen".

Die Adelsfrage sollte man, meine ich, bei dieser Sache beiseite lassen.
Ich für mein Teil wenigstens möchte mich ausdrücklich zu den Meinungen
bekennen, die Dietrich von Miltitz in verschiedenen Kunstwartaufsätzen dar-
über ausgesprochen hat. Ich glaube, auch der modernste und der „moni-
stischeste" Denker kann nicht bestreiten, daß Anpassung und Vererbung im
Verhältnis mehr Adlige zum Heerdienste tauglich macht, als Nichtadlige —
von dem Wenn und Aber auch bei diesem Punkte hat ja gerade Miltitz auch
sehr deutlich gesprochen. Heut steht diese Frage hier nicht zur Rede, sondern
die: hat die Entwicklung des Offizierstandes als eines Ganzen außer
seiner Tradition auch das Neue eingearbeitet? Hat er's nicht,
so bedeuten die Entwicklungen von Volk und Heer eine auseinandergehende
Linie, und so muß sich der natürliche Zusammenhang lockern. In manchem,

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