Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 27,2.1914

DOI Heft:
Heft 10 (2. Februarheft 1914)
DOI Artikel:
Vom Heute fürs Morgen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14288#0374

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
der Hand der von den Parteien be-
nannten Zeugen und Sachverstän-
digen durch das Dornengestrüpp aller
„erlaubten" Prozeßlügen sich hin-
durchzuarbeiten und die Wahrheit
zu finden. Zur Befestigung oder <Lr-
schütterung der Errnittelungsergeb--
nisse werden aber nachträglich von
den Parteien neue Zeugen heran-
geführt, auch diese muß der Rich-
ter vernehmen, wenn die unter Be-
weis gestellten Tatsachen für das
Urteil von Bedeutung sein können.
Abermalige Vertagungen sind un-
vermeidlich, weil die Anwälte jedes-
mal ihren Parteien die Beweis-
ergebnisse zur Erklärung mitteilen
wollen oder weil die Zeugen nicht
gefunden wurden und dergleichen.
Vielleicht kommen dann noch die
zweimonatigen Gerichtsferien da-
zwischen. So kann es geschehen, daß
ein halbes, ein ganzes Iahr dahin-
geht, ehe der Prozeß in der ersten
Instanz zur Entscheidung reif ist.
Ls liegt nicht an den „rechtlichen
Bedenken", nicht an dem „streng
formalistisch geschulten Denken" und
an der Verständnislosigkeit des Rich-
ters, sondern es liegt an dem Ver»
tagungsunwesen, wie es sich aus dem
Parteibetrieb des Zivilprozesses ent-
wickelt hat.

Das letztere gibt ja auch der Ver-
fasser des Aufsatzes zu, aber gleich-
wohl wundert er sich, daß der Rich-
ter „den ganzen Wust ruhig über
sich ergehen" ließ, „weil ihm die
Sache nicht reif dünkte«. Tatsäch-
liche Behauptungen, die für die
Entscheidung in Betracht kommen,
mußte doch das Gericht über
sich ergehen lassen, mögen sie auch
„Schriftsätze über Schriftsätze« ge-
füllt haben. Das Gericht kann doch
den Parteien nicht den Mund ver-
bieten, solange sie zur Sache Ge-
höriges vortragen. Früher konnte
es die Verhandlung nicht schließen
und ein Urteil nicht erlassen.

Denkbar wäre es, daß ein andrer

Richter vielleicht frischer zugepackt
hätte und auf Grund der Ergebnisse
der Beweisaufnahme schneller zu
einem Endurteil gekommen wäre.
Solche Unterschiede in der Prozeß-
leitung beruhen auf der verschie-
denen Begabung und Eigenart der
Richter, haben aber mit den „ro-
manistisch abstrakten" Erwägungen,
wie sie der Verfasser dem „deutschen,
nein römischen" Gericht unterschiebt,
nach meiner Erfahrung nichts zu
tun. Die Rechtslage war auch im
gegebenen Falle die denkbar ein-
fachste. Es war lediglich festzustellen,
ob der Zeichner die behaupteten Ver-
fehlungen sich hatte zuschulden kom-
men lassen. Daß sie, wenn sie be-
wiesen waren, einen wichtigen Grund
zur Entlassung bildeten, muß auch
der Richter angenommen haben,
sonst hätte er nicht darüber Beweise
erhoben.

„Iedes Kaufmanns-, jedes Ge-
werbegericht hätte natürlich längst
entschieden, weil da ein paar sach-
verständige Männer mit klugen Blik-
ken die Lage überschaut hätten", „es
hätte nicht auf jeden kleinen Ein-
wand, auf Ausflüchte, Behauptun-
gen und Gegenbehauptungen der
Anwälte gehört, es hätte rundweg
entschieden."

Das wage ich zu bezweifeln.

Die Kaufmanns- und Gewerbe-
gerichte haben natürlich viel leichter
entscheiden, denn bei ihnen sind
Rechtsanwälte überhaupt nicht zu-
gelassen, sie verhandeln innerhalb
ihres beschränkten Lebensgebietes in
der Hauptsache mit den Parteien per-
sönlich. Sie haben viel weniger
nötig, einen „Wust von Behauptun-
gen und Gegenbehauptungen über
sich ergehen zu lassen", denn Auge
im Auge mit dem Gegner geht der
Partei die Prozeßlüge nicht so leicht
über die Lippen wie im Bureau
des Anwalts. In Rede und Gegen-
rede der Parteien kann sich der Rich-
ter viel schneller ein klares Bild

322
 
Annotationen