Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 27,3.1914

DOI Heft:
Heft 18 (2. Juniheft 1914)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Urlaub
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.14289#0441
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
I Iahrg. 27 Zweites Iunihest 1914 Hest 18 >

Llrlaub

^^-oviel ich weiß, hat uns noch niemand verübelt) daß wir jedes Iahr
^^ein „Reiseheft" bringen — auch ein kleines Zeichen dafür, wie
^^wichtig uns allen das Reisen geworden ist! Wäre zu Großvaters
Zeiten dergleichen geschehn, man hätte den Zeitungsmann für „milz-
süchtig" erklärt. „In die Ratur" wollte der? Sie sah doch den meisten
ins Fenster hinein, wer aber in der Straßen guetschender Enge wohnte,
dem konnten fünfzig Schritt erst links, dann rechts um die Ecke zum
Tor verhelfen, dann war er bei ihr, der Ratur, denn mit Gemüsebeeten,
Obstgärten, Viehweiden, Kartoffeläckern, Ahrenfeldern, Buchenwäldern um-
grünte sie seinen tzeimatort so nahe, so gemütlich und so stimmenreich
wie das Wipfelgezweig ein Vogelnest. Wie anders war damals die Be-
völkerung gemischt, wie klein war die Minderzahl derer, die nicht als
Landwirte auf Gut oder Dorf oder als Ackerbürger in der SLadt oder als
Händler erster tzand auch im praktischen Verkehr mit Frucht und Scholle
standen, oder denen nicht wenigstens Freund und Gevatter bei jeder
Zusammenkunft von Saatstand oder Erntenot sprach! Man hatte die
Natur — und machte kein Wesens davon, wie der Gesunde nicht ans
Atmen denkt. Zudem, die Beschwerlichkeiten beim Reisen! Die schlechten
Wege, die gebrechlichen Kutschen, die elenden tzerbergen, die Iollplackereien,
die Gefahren! Rnd dann die Kosten! Wer reisen wollte, war entweder
ein „kuriöser" reicher tzerr, dem man das nachsah, oder einer, der aus-
zog, um tzeimtragbares zu holen, oder der's daheim übel hatte, oder nicht
verstand, wie gut er's hatte, oder er war solch ein Sonderling wie
weiland Exzellenz von Goethe. „Bleibe im Lande und nähre dich redlich!^
Aber nicht nur die viele Reiserei von heute hätte Großvater schlecht
verstanden, auch das rege Verlangen nach Rrlaub — und in diesem
Punkte, vermute ich, hätte ihm noch sein Sohn meist zugestimmt. Die
„Feriensucht" wäre wohl ihnen beiden nur als eine kaum verschleierte Form
anmaßlicher Faulheit erschienen. Die Studenten und ihre Professoren,
die, hm, die sagten ja selber: sie arbeiteten in ihren vielen Ferien.
Die Lehrer, die kriegten sie von altersher, damit sich Schüler und Schul-
meister voneinander erholten und die Eltern Bub und Mädel mal ordentlich
in der Familie hätten. Die höheren Beamten und Militärs, die waren
Respektspersonen, deren Rrlaub zu kritisieren dem Bürger nicht geziemt,
sie richteten sich eben „standesgemäß" ihr Leben ein. Aber der Kaufmann,
zumal der „angestellte", der kleine Beamte, oder gar der Arbeiter — wozu
in aller Welt brauchten die Ferien? Schien doch allenthalben dafür
gesorgt, daß kein Mensch von gesunden Kräften sich übernahm. Der
Wandertrieb, der wohl in der Menschennatur aus ungebildeten Zeiten her
rumoren mußte, den hatte das Iungvolk befriedigt, als es noch Student
oder tzandwerksbursch war, ganz richtig mit dem Stabe in der tzand.
 
Annotationen