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Kunstwart und Kulturwart — 27,3.1914

DOI issue:
Heft 18 (2. Juniheft 1914)
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Avenarius, Ferdinand: Urlaub
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https://doi.org/10.11588/diglit.14289#0442

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Der „Gesetzte" aber saß dem Schwabenalter zu und darüber hinaus in
Frieden. Die vielen Feiertage von ehedem sorgten noch extra für Aus--
schlafen und Spazierengehn. Man lebte wohl auch mit weniger Sorgen
als heute^- Zünfte und Innungen versicherten sozusagen die Arbeit, schon,
indem sie den Bönhasen fernhielten, dessen rischerer Fleiß und neumodische
Einfälle sonst etwa mit Konkurrenz stören konnten: wer einmal saß, brauchte
sich nicht nervös zu rackern. „Der gesetzte Bürger", das Wort ist abge-
griffen, wie's jetzt umlänft, es hatte einen Sinn und einen Wert, an
die wir heute selten mehr denken.

Seit diesem Damals sind die Eisenbahnen gekommen, die Weltwirt-
schaft, der Weltverkehr, der Welthandel, die Industrialisierung unsers
Vaterlandes und das Zeitalter des Kapitalismus. Alles unter dem
Zeichen: Zeit ist Geld, mit dem kleinen Denkfehlerchen, ats selbstver-
ständlich vorauszusetzen, daß Geld kein Mittel, sondern der Endzweck sei.
Aber noch etwas anderes ist damit gekommen: das Spezialisieren
der Arbeit, das sie dnrchs Einüben verbilligt, also konkurrenzfähiger macht.
Bei den Volkswirtschaftlern ist die Arbeiterin berühmt, die nach der Landung
in Amerika, befragt, was sie könnte, antwortete: Feilen einpacken. Der
Gedanke scheint furchtbar, daß jemand sein Leben damit verbringt. Ist
aber das „Feilen einpacken^ erst mechanisiert, so mag's eine Arbeit der
tzände sein, die den Kopf den Gedanken zum Spazierengehn frei läßt.
Das Spezialisieren im landläufigen Wettbewerb aber läßt ihn nicht
frei, es bannt den ganzen Menschen in seinen Gedankenkreis, der uner-
müdlich nach Beutemöglichkeiten abzulaufen ist, wie das Netz von der
Spinne. Wir haben ein paarmal der Erscheinung gedacht, die viel zu
wenig ernst genommen wird: daß wir ununterbrochen Maschinen und
Einrichtungen erfinden, die Zeit sparen, und daß wir doch jedes Iahr
weniger Zeit haben, Zeit, heißt das, die wir nicht auf die Er-
werbsarbeit verwenden, freie Zeit, Zeit der Freiheit von Zwängen außer
uns, Zeit für unser Inneres, für die Erholung und Lrgänzung, für die
Entwicklung, für das Wachstum nnsers Ichs. Wenn das so weiter ge-
gangen wäre, wie es vor zwanzig Iahren auf allen Wegen lief, wer weiß,
ob nnser Volk irgendeine viel größere Gefahr für seine innere Kultur
gehabt hätte, als das Fachmenschentum.

Aber das ist ja gerade an unsrer jüngsten Kulturgeschichte so, daß es
den geborenen Schwarzbrillenträger die deutsche Welt licht sehen läßt:
immer noch, wo unser Volk Dummheiten machte, mit seinen hohen Re-
giernngen oder gar mit seinen allerhöchsten Intelligenzen voran, immer
noch keimte da triebkräftig aus dem Bewußten oder Unbewußten herans,
immer keimte ans Gedanken und Gefühlen von selbst der Ansatz zur
heilenden Tat. Der Drang nach religiöser Verinnerlichung zeugt dafür,
die neue Bewegnng um Ausdruckskultur, die Bewegung in Kunst und
Kunstpflege, um Heimat- und Naturschutz, das Wachstum der Sportsfrende
im Volk, das Wachsen der Bewegung gegen den Alkohol, die Entwicklung
des Wandervogels und der Freideutschen Iugend, ganz ein Werden aus
sich, alles das bezeugt es. Und anch das Wachsen des Bewußtseins zeugt
dafür, daß die zeitweilige Befreiung vom tagtäglichen Dienst, daß der
 
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