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Kunstwart und Kulturwart — 27,3.1914

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Heft 16 (2. Maiheft 1914)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14289#0305

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Vom tzeute fürs Morgen

Baeon oder Shakespere?

feiert „Shakesperes" 350.
-^^Geburttag — war aber der
Shakespere, den wir im Sinne haben,
nun vor 350 Iahren geboren, oder
nur ein Schauspieler dieses Namens,
der uns weiter nichts angeht?

Anter der Führung einer großen
Zahl wissenschaftlicher Forscher steht
heute, nicht ganz im Sinne ihres
Gründers, die Shakespere-Gesell--
schaft, die vor wenigen Tagen fest-
lich den Shakespere-Gedenktag be-
ging. In einem Werke dessen, nach
dem sie sich nennt, findet sich das
Räts elwort „Ronorikio^bilirnäinitati-
bns". Memand weiß, was es be-
deutet, niemand, warum es an dieser
Stelle steht. Nun aber ist der Shake-
spere-Gesellschaft wieder einmal die
angeblich nachweisbare „Lösung"
des Rätselwortes mitgeteilt worden.
Sie lautet: „^krnnneis Lnoon is Min.
LbniroLvonro." So liest man in der
Zeitung. Aber man hat es schon
oft gelesen. Eine große Zahl acht-
barer Männer hat schon behauptet:
die unter dem Namen „Shakespere"
oder „Shakespeare" erschienenen
Werke sind von Francis (alte Form:
Ffrauncis) Bacon! Erst vor weni«
gen Tagen starb Baronet Durning-
Lawrence, der mit einem starken
Bande „Laoon is LbaicoZvoLro" für
diese Meinung eingetreten ist. Aber
so oft das behauptet wurde, so oft
wurden die Baconianer mit SpoLL
heimgeschickt. Es ist immer bald
wieder still geworden von ihnen.

Wird es nun wieder so gehn?
Die Frage hiernach bietet Anlaß zu
mancherlei Gedanken. Zunächst frei-
lich könnte es scheinen, als ob ziem-
lich gleichgültig sei, von wem die
betresfenden Werke sind; sie haben
ihre gewaltige Wirkung gehabt, sie
sind im höchsten und folgenschwer-

sten Sinne des Wortes „Weltlitera-
tur" geworden, und ihre Rnsterblich-
keit ist durch ihre bisherige Ver-
gangenheit verbürgt. Daran wird
nichts zu ändern sein, habe nun
der Schauspieler Shäkespere oder
Shakespeare, der Philosoph und
Staatsmann Bacon oder ein Drit-
ter die unsterblichen Werke geschaf«
fen — nicht, wie er im Vürgerleben
hieß, nicht, was er sonst noch war,
steht in Rede, sondern: daß er der
Dichter dieser Werke war, wie immer
er sonst hieß. Bleibt man aber mit
solcher Lrwägung nicht doch an der
Oberfläche? Es gibt ein gewisses Ge-
fühl für Gerechtigkeit, das von uns
fordert, demjenigen Verehrung und
denkende Hingabe zu widmen, der
tatsächlich sie beanspruchen darf. Es
gibt dies doppelt, je mehr wir, wie
heute geschieht, über die Werke hin-
weg in ein persönliches Vertrauens-
verhältnis zu ihren Schöpfern Lre-
ten mögen. Rnd weiterhin — wäre
es nicht möglich, möglich minde-
stens, vielleicht sogar wahrscheinlich,
daß diese eine vorerst äußerliche
Entdeckung zu wichtigen, das innerste
Wesen der Shakespereschen Werke
betreffenden inneren Entdeckungen
weiterleitete? Daß diese Werke von
der Zeit der einmal als zweifellos
anerkannten Entdeckung an binnen
kurzem sich unserm innern Schauen
durchaus wandelten? Nur wer kurz-
sichtig das Verhältnis eines Kopfes
und eines tzerzens zu tiefsinnigen
dichterischen Schöpfungen für ein-
deutig, für „ein für alle Mal" fest-
gelegt, für endgültig hielte, könnte
solche Folgen von vornherein be-
streiten. Es ist allgemein zugegeben,
daß sich geheimnishafte Stellen, ge-
heimnisreich anmutende Stücke unter
„Shakesperes" Werken sinden. Wie,
wenn die Auffindung dessen, was

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