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Kunstwart und Kulturwart — 27,3.1914

DOI Heft:
Heft 17 (1. Juniheft 1914)
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Avenarius, Ferdinand: Michelangelo der Bildhauer
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Schumann, Wolfgang: Nietzsche und unser Bürgertum, [2]: [zu dem Buche von Otto Ernst]
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https://doi.org/10.11588/diglit.14289#0363

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über das Mögliche hinaus nachfühlen können, und das ist ja nur ein
anderes Wort für: über das Irdische hinaus. In diesern Sinne war
er der Faust der Bildnerkunst, mit dem ein Stück zu leben Aberrnenschen--
Gefühl des Schöpfers auch uns noch ahnen läßt. And uns damit hoch über
allen?Alltag hebt.

Die neuen drei Michelangelo-Mappen des Kunstwarts, die der Plastik
des Großen gewidrnet sind, behandeln seine Werke in der Meinung,
daß ein Sammeln der Kraft auf die Hauptwerte der tzauptwerke wichtiger
sei, als ein Verweilen beim Nebensächlichen. Weiteres über Michelangelos
Bildhauerkunst, das zur Erläuterung Bildbeigaben braucht, wird an ge«
eigneter Stelle in den einzelnen Mappen vorgebracht. A

Nietzsche und unser Bürgertum

2

-O» m diese Stellung zu Ernsts Ausführungen zu begründen, gehe ich auf
/I einige Kapitel daraus näher ein.

^^Ernsts erstes tzauptstück will den Skeptizismus widerlegen. Und
zwar den abstrakt-philosophischen Skeptizismus. Er führt den schönen
alten Gegenbeweis, daß wer behaupte, nichts wissen zu können, doch
eben damit sein eignes Mchtwissen zu wissen behaupte und demnach doch
etwas wisse — also könne man wohl auch mehr wissen. „Der Satz: »Wir
werden nichts wissen und können nichts wissen« ist unbeweisbar; aber
beweisbar ist, daß er den Menschen niemals genützt hat noch nützen kann.
Die fröhliche Aberhebung: »Wir werden alles wissen«, ist ebenfalls unbe-
weisbar, aber sie nützt und hat nie geschadet." Die vierzehnseitige M«
handlung über dieses Thema liest sich sehr gut,- es ist Otto Ernst ge«
lungen, den Prozeß der abstrakten Behauptung und Widerlegung eines
erkenntniskritischen Skeptizismus strengster Durchführung ziemlich laien-
verständlich, erheiternd und flott zu beschreiben. Aber den einzigen Beweis,
den er führen müßte, um damit mehr als eine rationalistische Spielerei
minderer Ordnung geleistet zu haben, führt er nicht. Er behauptet
zwar, es sei beweisbar, daß jener Satz nichtsnutzig sei, aber er unter-
läßt es, das zu beweisen. Nun aber zu Nietzsche; wohl hat Nietzsche —
dessen Werke ja W starke Bände umfassen — sich gelegentlich auch zu
dem Problem des abstrakten Skeptizismus geäußert; vielleicht glaubte
er, der überall Waffen suchte, in dessen Erörterung solche zu finden.
Rnd seine Notizen darüber hat er, wie alles was er auf dem Wege
zu seinen Zielen fand, veröffentlicht. Daß er nicht danach handelte und
lebte, ist gewiß, denn niemand, der Erkenntnis konsequent leugnet, strebt
unter Martern, wie Nietzsche sie duldete, doch nach ihr. In Nietzsches
Werk haben jene Außerungen den Wert einer Notiz, einer hingeworfenen
Bemerkung, die er auf abstrakte, wissenschaftliche Vorhaltung hin ohne
Reue wieder hätte streichen können. Daß dem so ist, hätte auch Otto Ernst
erkennen können; aber er schrieb eine „Streitschrift" und erweckte mit
diesen Notizen zu einem philosophischen Grundproblem den Schein, daß
Nietzsche von solchen Problemen nichts verstand. Ich sage nicht, daß
Ernst einen Schein erwecken, das heißt, daß er intellektuell unredlich vor-
gehen wollte; ich muß vielmehr annehmen, daß er jenen Tatbestand
nicht erkannte, daß er hinter Nietzsches Wesen zu kommen unwichtig

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