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Kunstwart und Kulturwart — 27,3.1914

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Heft 17 (1. Juniheft 1914)
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Vom Heute fürs Morgen
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Unsre Bilder und Noten
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https://doi.org/10.11588/diglit.14289#0423

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sengeben, in je größerem Maße es
angewendet wird, desto verderblicher.
Wir müssen helfen durch eine Am--
wandlung der Verhältnisse, die dem
tüchtigen Mann mit der größten
Familie sein Brot und gesundes
Auskommen sichert.

Wir klagen über den beginnen«
den Selbstmord unsres Volkes in
der Steigerung der bewußten Ver-
hinderung der Erzeugung von Mn-
dern. Aber wenn ernste, gewissen-
hafte, sittlich strenge Menschen sagen
müssen, daß allerdings in städti-
schen Verhältnissen der Arbeiter und
mittlere Beamte mehr wie vier Kin-
der gewissenhafterweise nicht haben
darf, schreit das nicht gen tzimmel?
Ist das eine menschenwürdige Ge-
sellschaftsordnung, die Lltern zwingt,
aus ernsten, sittlichen Erwägungen
heraus keine Kinder mehr haben
zu wollen — und dies in einem
Volke, das täglich, stündlich reicher
wird, das für den unsinnigsten
Luxus Geld hat, nur für seine Kin-
der nicht, für seine Zukunft nicht?
(Nebenbei bemerkt: die großen
Luxusanlagen unsrer Städte sind
auch so lange nur ein Skandal, so
lange dieselben Städte nicht genü-
gende Spielplätze für ihre Kinder
haben und statt dessen die herrlich-
sten Rasenplätze und Strauchanlagen
umzäunen, damit das Auge des be-
suchenden Fremden sich daran wei-
den kann.)

Und schließlich die unmenschliche
SLeigerung des Erwerbszwanges,
der sich über die Menschen legt.
Mit vierzehn Iahren wird der

Iunge in die Fabrik geschickt, und
von da an hat er nie mehr in
seinem Leben die Möglichkeit, mit
wirklich ausgeruhter Kraft sich um
irgend etwas anderes zu kümmern
als das, was ihm Geld einbringt.
Mit verzweifelter Anstrengung ver-
schafft er sich eine vorgetäuschte
Erhöhung seines Lebensgefühls in
den Reizen, die Alkohol und son--
stige Roheit ihm geben.

In derselben Sklaverei schmach-
ten aber auch unsre Allerreichsten,
die im Konkurrenzkampf ihre Rie-
senunternehmungen nur vorwärts-
bringen können, wenn sie sich zu
deren Sklaven machen. Wir be-
wundern ihren Fleiß und ihre Tat-
kraft. Aber Raubbau am Seelen-
leben unsres Volkes ist diese Art
der Lebensführung doch. Dazu müs-
sen sie erwerben, ob durch Alkohol
und Schundproduktion oder Gutes!
Gewissen gibt es da nicht!

Dieselbe Sklaverei dehnt sich über
die kleinen tzandwerker und Ge-
schäftsleute aus, wird da zu einem
Kampf um zehn Pfennige Verdienst,
der allen Charakter und alle Red-
lichkeit zermürbt und zu einer phili-
strösen Kleinlichkeit verführt, die für
eine Mark Aberzeugung jeglicher
Art feil hält. Man sehe nur einmal
an, auf welche wirtschaftlichen Inter-
essen politische Parteien, ja Kirche
und Religion Rücksicht nehmen müs-
sen, und man spürt dieses ganze
Elend.

Emil Fuchs in der „Christ-
lichen Welt"

Unsre Bilder und Noten

D

er Pfingstgeist, dem dieses tzeft dienen möchte, hat aus keinem bilden-
den Künstler der Welt mit feurigern Iungen geredet, als aus Michel-
angelo. Er aber erlitt den Gott, davon sprechen seine Werke,
davon spricht sein Angesicht. Die Bildnisbüste eines unbekannten
Meisters, die das Louvre aufbewahrt und die wir vor unserem tzeft wieder-
geben, nach unserm Urteil das beste Bildnis des Großen überhaupt, zeigt

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