Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 27,3.1914

DOI issue:
Heft 18 (2. Juniheft 1914)
DOI article:
Vom Heute fürs Morgen
DOI article:
Unsre Bilder und Noten
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14289#0518

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Merkmale fehlen, die nur wahr-
nimmt, wer beobachtet. Die flüch-
tige Beobachtung eines Reisenden,
der ein Land rasch dnrchzieht, ist
mit der Photographie zu vergleichen,
die wahllos aufnimmt, wie auch Licht
und Lage sei. Man sieht sa, daß
es verschiedene Landschaften sind,
die da aus der Kamera herauswan-
dern, aber sie sehen doch so recht
zufällig, wie gefunden, aus und ha-
ben eben deshalb oft eine merk-
würdige Ahnlichkeit miteinander.
Gelegentlich kommt einmal ein echtes
Bild dazwischen, scharf, aber auch
einseitig wie eine Momentphotogra-

phie, so, wie wenn etwa Sven tzedin
seine Karawane im stürmischen Wet»
ter des tibetanischen tzochlandes schil-
dert: „Wie schief sie aussieht, alle
Pferdeschwänze, alle Gewänder
stehen wie Flaggen ab!« Wer sich
dagegen in die Natur eines Landes
vertieft, schildert wie ein Künstler,
dessen Studienmappe und dessen
Phantasie gefüllt sind mit den far-
bigen Eindrücken dieses Landes. Un-
ter den bildlichen Darstellungen ent-
sprechen Photographie dem Sehen,
Skizzen und Karten dem Beobachten,
künstlerische Bilder dem Schauen.

Friedrich Ratzel

Unsre Bilder und Noten

^-^ie beiden Maschinengravüren nach Ferdinand tzodler legen
^-D^wir auch deshalb vor, weil wir möglichst eindringlich auf das neue
schöne große Photogravürenwerk nach tzodler hinweisen möchten,
das soeben bei Piper L Co. in München erschienen ist und dem unsre Vor-
lagen ebenso entnommen sind, wie die des blühenden Bäumchens im vor-
letzten tzeft. Außerdem aber gehören die beiden Bilder auch in ein
Reiseheft, denn sie führen mitten in das Reiseziel so vieler, in die
Schweiz, und helsen wohl, ihren Bewohnern und ihrer Landschaft wieder
einmal von anderen Seiten her näher zu kommen.

Das „mutige Mädchen", die Schifferin im kleinen Kahne bei
SLurm, ein Bild, das im Züricher Kunsthause hängt, wird nicht auf-
gezählt, wenn man tzodlers berühmteste Werke nennt, unsrer Meinung
nach gehört es aber zu seinen bedeutendsten. Auch tzodler wird, wie jeder
Starke, von vielen vor allem wegen desjenigen bewundert, was ihnen
am auffälligsten ist, was ihnen „neu" ist, und dem Mädchen im Kahn
fehlen ja noch die „markantesten" Eigenschaften der tzodlerschen Bilder
letzten Stils. Aber das, was durch diese seine neuesten Kunstmittel er-
strebt wird, das ist hier auch ohne sie erreicht: die dekorative Wir-
kung in die Ferne sowohl wie die monumentale Sammlung des Seelischen
zu geschlossenem Eindruck.

Zu den neuesten, aber ebenfalls zu den besten tzodlers gehört „Der
Niesen". Eine Vereinfachung auf das Letztmögliche, die an gewisse
herrliche Blätter aus Iapan erinnert, dekorative Teilung der Bildfläche
ungefähr nach dem goldenen Schnitt, vorn ein dunkler Streif, um das
Ganze noch luftiger zu machen — und nun, Phantasie, hauche gehorsam
dem Rufe des Künstlers Luft und Licht und Weite und Größe ins Bild!
Sie tut's, und wir sehen daraus, daß sie der Rechte gerufen hat.

^30
 
Annotationen