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Kunstwart und Kulturwart — 27,3.1914

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Heft 16 (2. Maiheft 1914)
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Cauer, Paul: Die Antike als Jungbrunnen
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Schumann, Wolfgang: Nietzsche und unser Bürgertum, [1]: zu dem Buche von Otto Ernst
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https://doi.org/10.11588/diglit.14289#0272

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in Zerten vorgeschichtlicher Kultur hinauf, und die Denker des fünften
und vierten Iahrhunderts haben die Sprache geschaffen, in der heute
noch die Wissenschaft spricht. Bei aller Herrlichkeit der Werke, die uns
geblieben sind: die eigentliche Macht der Bntike liegt nicht inr Vollendetsein,
sondern im Werden; darin, daß wir es mit erleben, wie in bildender Kunst,
Poesie, Forschung die Fähigkeit des Sehens und Aussprechens aufkeimt
und emporwächst. Dem Stück Geistesgeschichte, das von den Anfängen
der Ilias bis zum Begründer der Logik reicht, könnte man die Äber-
schrift geben: die Entdeckung des Menschen. Eine Wiederentdeckung war
die Renaissance. Aber die Befreiung, die sich in ihr vollzogen hat, ist
damit nicht auch für uns abgetan. Iedes siegreiche Freiheitstreben führt,
indem es seinen Erfolg festhalten will, zu neuen Formen, zu neuer
Bindung. Nicht mit den Augen unsrer Vorgänger, sondern mit unsern
eignen müssen wir sehen, wenn wir für uns und die Ansern die Lebens-
erneuerung gewinnen wollen, die aus den Alten zu schöpfen ist.

Bacon hat recht: wir sind alt, und jene waren jung. Aber das ist
gerade die Mission, die sie an der reifer und reifer werdenden Mensch--
heit immer aufs neue zu erfüllen Haben, daß im Verkehr mit ihnen ein
Stück Iugend wieder auflebt. Von den Schöpfungen des griechischen
Altertums im ganzen gilt, was Goethe von den Gesängen tzomers ge-
sagt hat: „Noch auf den heutigen Tag haben sie die Kraft, uns wenigstens
für Augenblicke von der furchtbaren Last zu befreien, welche die Aber-
lieferung von mehreren tausend Iahren auf uns gewälzt hat/

Paul Lauer

Nietzsche irnd unser Bürgertnm

Zu dem Buche von OLto Ernst

^s^s mußte eigentlich schon lange wundernehmen, daß das moderne
U^Bürgertum noch nicht kräftiger als bisher gegen einen Vater der
^«^Ruhestörung und Arheber der Argerlichkeit wie Metzsche aufgetreten
war. Man hat durch das Theater, durch die Literatur überhaupt, durch
ein paar Philosophen und Schriftsteller, endlich durch das Gebaren der
Iugend beiderlei Geschlechts allenthalben zu spüren bekommen, daß Nietz«
sches Werke einen großen Einfluß auf einzelne Gruppen unsrer Gesellschaft
hatte, einen unbequemen, ja einen bösartigen Ernsluß. Aber man hat
eigentlich nur die Iugerrd und die Schriftsteller daraufhin angegriffen,
den Rmwerter selbst hat noch nicht in aller Öffentlichkeit ein wohlgezielter
Keulenschlag getroffen. Nun endlich ist ein Sprecher erstanden, dessen
wohlgesetzte, energisch durchdachte, durchaus allgememverständliche Rede den
großen Aphoristen als „falschen Propheten" endgültig entlarven will. Der
Sprecher ist Otto Ernst, der sich im Vorwort seiner eben bei Staack-
mann erschienenen Schrift „Metzsche der falsche Prophet" einen „deutschen
Dichter und SchrifLsteller" nennt und gleich darauf einen „Philister in
dem Sinne, in dem es Goethe war", womit er gewiß Goethe nicht eine so
schwere Beleidigung antun wollte, wie — mit Recht! — mancher in dem
Wort finden wird. Mir persönlich scheint es erfreulich, daß gerade Otto

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