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Kunstwart und Kulturwart — 27,3.1914

DOI Heft:
Heft 16 (2. Maiheft 1914)
DOI Artikel:
Schumann, Wolfgang: Nietzsche und unser Bürgertum, [1]: zu dem Buche von Otto Ernst
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https://doi.org/10.11588/diglit.14289#0273

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Ernst den Kampf gewagt hat, der zweifellos im ganzen wenig angenehm
verlaufen wird und schon jetzt zu peinlichen Entgleisungen gegen Ernst
geführt hat. Erfreulich, weil Ernst nichts weniger als ein Dummkopf
ist, gegen den ja doch eine Polemik stets sinnlos und aussichtlos wäre,
erfreulich, weil Ernst auch hier den Mut zur völligen, klaren Aussprache
bewiesen hat, erfreulich, weil er der Mann war, in guter Form typi«
schen Gegenmeinungen gegen Metzsche Ausdruck zu geben, die zu durch«
denken sich lohnt, und nicht einmal nur unter dem Gesichtpunkt sich lohnt,
daß man etwa mit dem Wesen des heutigen Bürgertums einigermaßen
vertraut sein möchte.

Vom Typischen dieser Meinungen sei nachher noch die Rede. Zunächst
sei, um alles Versteckspielen zu meiden, eine Generalansicht ausgesprochen.
Otto Ernst glaubt, indem er gegen eine Reihe Metzschescher Aussprüche
einen Gegenbeweis versucht und in einzelnen Fällen durchführt, Metzsches
Position zu erschüttern. Wer, was Ernst mit keiner Zeile versucht, Metzsches
Werden und Wirken geschichtlich betrachtet, wird leicht finden, daß nicht
in zehn oder fünfzig Aussprüchen und Dogmen Metzsches Bedeutung
liegt, wie denn dies Metzsche selbst gelegentlich bemerkt hat. Eine ge«
waltige Persönlichkeit polemisiert kein Rationalismus hinweg; ein ganz
ähnliches Verfahren wie gegen Metzsche kann man gegen Platon oder
Kant oder die Bhagavadgita anwenden, nämlich: eine Reihe GrundLhesen
aus ihnen entnehmen, behaupten, daß sie das Wesentliche und daß sie
doch äußerst anfechtbar sind, dies mit tzilfe andrer Denkvoraussetzungen
„beweisen" und glauben: damit seien sie erledigt. Aber man wird sich
gefallen lassen müssen, daß andre kommen und alles dergleichen für nach«
trägliche Denkkonstruktionen erklären; es leuchtet aus leicht ersichtlichen
Gründen OLto Ernst die Bedeutung Metzsches nicht ein, und diese seine Auf«
nahmeunfähigkeit sucht er als notwendig zu „beweisen^. Da muß denn auch
ein Philosoph wie der geistvolle verstorbene R. Richter als „verblendet"
gebrandmarkt werden und Georg Simmels Kopf sich „mitten im Zirkel«
befinden! Ich meine, man kann sieben Zehntel der „Beweise" Ernsts
durchaus Lreffend finden und doch Metzsches Wesentliches unberührt von
diesem Zerkleinern und Zusammenhauen in Regionen der Unsterblichkeit
erhoben wissen. Ich will damit auch andeuten, warum ein „Gegenbeweis^
gegen Ernst ein Ding der Rnmöglichkeit ist. Er hat im Einzelnen öfter
Recht, im Ganzen nicht. Wer also beweisend gegen ihn vorgehen wollte,
müßte erstens eine neue Gesamtdarstellung Metzsches schaffen — dies wäre
eine Arbeit für Iahrzehnte. Zu ihr müßte er erst methodische und all»
gemeine, prinzipielle Grundlagen liefern, da die Wissenschaft solche bisher
noch nicht gültig gelegt hat. Dies alles mit Takt und Aberblick, historisch
und psychologisch einwandfrei, hinreichend umfänglich und genau zu schaffen,
wäre eine Riesenarbeit, die aber im letzten Ende wieder nicht „beweisend^
wäre, da ein Nachsolger Ernsts auch nach vierzig Iahren noch die Treff-
sicherheit dieses zu erhoffenden Darstellers Metzsches bestreiten würde —
so erscheint denn als der letzte Grund der Ansicherheit die Anzulänglichkeit der
Sprache und das rein wissenschaftlich nicht erfaßbare, schwankende Wesen
der Persönlichkeit. Daß aber Otto Ernsts im übeln Wortsinn rationalistische
Sprache methodisch unzulänglich und sein Bild von Metzsches Wesen von
Grund auf falsch angelegt ist, steht für mich fest.

So wie Metzsches Schaffen Ausdruck einer Persönlichkeit und eines
Wollens war, einer Persönlichkeit bestimmter Art, eines Willens von

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