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Kunstwart und Kulturwart — 27,3.1914

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Heft 18 (2. Juniheft 1914)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.14289#0463

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Lose Blätter

Von polnischen Vauern'

Roman Reymonts, von dem wir den Lesern heut sprechen, ist ge«
Dschrieben vor dem Ausbruch des russisch-japanischen Krieges und
*^^oer letzten russischen Revolution und zeigt das polnischeBauerntum
am Beginn jener Entwicklung, die wir an den Ostgrenzen des Deutsch«
tums in ihren nationalpolitischen Folgen fühlen. Titel, Stoff, Anlage,
Stil des Buches lenken uns von vornherein auf eine Betrachtungsweise, die
es in erster Linie als soziologisches und rassenpsychologisches Zeugnis
nimmt. Das könnte der Roman freilich bei der Größe und Art seines Stoffes
nicht sein, wenn er nicht mit starker dichterischer Kraft, mit einer unge»
wöhnlichen, aus künstlerischem Mitleben erwachsenen Kenntnis und Ge-
staltungsfähigkeit geschrieben wäre.

Reymonts Buch bietet sich bewußt in seiner ganzen Form als das
Epos des polnischen Bauerntums dar. Diese Form ist so
organisch aus dem Stoffe Herausgewachsen, daß sie, bei allem bewußten
Abstande des sehr überlegenen Dichters von seinem Gegenstand, wie ern
Ausdruck des geschilderten Lebens selbst wirkt. Breit, für unser Form-
gefühl zu breit, fließt der Strom der tzandlung, oft ohne deutlich sicht-
bare Ufer. Die einzelnen Ereignisse und ihre Gestalten sind in diesem
großen Strome, dem Leben einer typisch gedachten Dorfgemeinde, nur
wie Wellen: sie gleiten vorüber, ohne Spuren zu hinterlassen, und sind
doch irgendwie durch Druck und Gegendruck mit den nachfolgenden ver-
bunden. Die äußere Einheit zwischen den einzelnen Geschehnissen ist
gering, dafür desto stärker eine innere gefühlsmäßige. Ein gleichmäßig
starkes, lyrisches, in einigen Stellen hymnisch gesteigertes Pathos ver-
bindet alle diese Episöden: des alten Hofbauern Boryna Schaffen und
Streben, seines Sohnes Antek Rebenbuhlerschaft, Flucht und reuige tzeim-
kehr, der schönen Iagna haltlose und doch seltsam rein wirkende Liebes-
abenteuer, all die tausendfachen SHicksale, Zänkereien, Feindschaften und
Freundschaften, Erwerbs- und Liebessorgen der Dorfgenossen, vor allem
auch den großen Kampf gegen die Gutsherrschaft, der eine Zeitlang auch
äußerlich das Dorf, „das Volk^ im eigentlichen Sinne, als handelnden
Helden zeigt. Diese große, den Einzelnen unumschränkt beherrschende Ein-
heit aber ist wiederum nur ein Teil der über alle menschliche Gemein-
schaft mächtigen Ratur; in sie, in das Walten ihrer Iahreszeiten, ihrer
Spannungen und Entladungen, ihres Werdens, Reifens, Welkens und
Ruhens ist jenes überindividuelle Schicksal der Dorfgemeinde eingebettet.
Zwiefach umschlossen ist also die Persönlichkeit des Einzelnen. Selbst die
Führenden wie Antek, Boryna, der alte, an tolstoische Legenden erinnernde
Rochus sind nur Repräsentanten und Werkzeuge der Gemeinschaft. Iagna
vollends, wohl die fremdartigste Gestalt des Buches, diese bei all ihrer
tzaltlosigkeit immer wieder mit größter Teilnahme geschilderte Verführerin
des ganzen Dorfes, ist nur Trägerin, ja Märtyrerin eines gewaltigen

^ W. S. Reynront, Die polnischen Bauern. Vier Bände. Abersetzt von
Paul d'Ardeschah, Verlag von Eugen Diederichs, Iena. Ieder Band geheftet
2,50 M., gebunden 3,50 M.

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