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Kunstwart und Kulturwart — 27,3.1914

DOI issue:
Heft 13 (1. Aprilheft 1914)
DOI article:
Avenarius, Ferdinand: "Man weiß das": auch etwas zum Frühling
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https://doi.org/10.11588/diglit.14289#0016

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Iahrg. 27 Erftes Aprilheft 1914 Heft 13

^Man weiß das"

Auch etwas zum Frühling

,-^W ist etwas", sagt auch der Großstädter aus irgeudernem W oder
(H^WW: wenn er im Ianuar im Engadin, seine ^800 bis 2500 Meter
hoch, im Freien vier Gänge diniert und ihm dabei zu warm wird,
obgleich er ohne Äberrock auf halbmeterhohem Schnee sitzt. Denn für
seinesgleichen ist nur etwas, was etwas Extraes ist. Zum Beispiel:
daß die Iahreszeit wechselt, das ist ein altes Stück: „hier vorne geht sie
unter und kommt von hinten zurück". Man weiß das. A.nd wenn einer,
der Lessing hieß, der Wunder größtes nennt, daß es keine Wunder gibt,
so nimmt man solch Wort als ein geistreiches Paradoxon beifällig hin,
auf unsre Lebensauffassung aber wirkt's nicht. „M1 aämii-ari" — sollten
wir etwa auf unsre alten Menschheitstage noch das Erstaunen wieder
lernen, das Kindersache war? Ein Erwachsener läßt sich verblüffen,
eben: durch das Extrae, zum Beispiel durch Futuristen, bis noch Extraere
kommen, wie jetzt die Zerebristen — aber zu erstaunen, das schickt sich
nicht einmal, es ist beinahe das, was den kultivierten Menschen allein
entrüsten kann, es ist beinahe „geschmacklos". Geschmackvoll dagegen ist:
immer so tun, als verstünde sich alles von selbst, denn das erweist den „Gent",
und womöglich: auch wirklich bis ins letzte blasiert zu werden. Ob«
gleich eine andre Art von Leuten meinen: wer das Erstaunen verlernt
hat, hat das Aufnehmen verlernt, hat das sich Einfügen des Erlebten
verlernt, steht still, ist Philister und ist im Vergreisen. Ist es selbst dann,
wenn ihm bei der Geringzahl seiner Iahre noch nicht einmal der Mond im
Haupthaar aufgeht, der doch uns tzeutigen sein mildes Licht schon so
frühzeitig spendet.

Draußen lenzt es wieder — das ist nichts Extraes, und das wissen wir.
Erleben wir's auch? Wozu brauchen wir's denn zu erleben, wenn
wir's wissen? Dann haben wir doch schon sein Resultat und können
das Erleben weglassen, wie wir all die Zahlenreihen der Rechnung nicht
mehr brauchen, sobald wir wissen, was „herauskam". Darauf kam's an,
auf das, was heraus kam. Aber das Erleben selber den Schwamm!
Oder nicht? Kirschgeist, spottete zwar der alte Vischer, statt Kirschen.
Aber möglicherweise hätt er sich solchen Scherz versagt, wenn ihm die
Welt von heute bezeigt hätte, wie sehr er sich in der Minderheit befand.

Der Fastenprediger aber sagt: Gent, Snob, Modischer, der du dich für
modern, Steckengebliebener, der du dich für fortgeschritten, Armer, der du
dich für reich hältst — du kannst es, wehe dir, wirklich nur noch „erkennen",
bis du es „weißt", du kannst, so fürchten wir, die Offenbarung nicht mehr
in dir erleben: daß dieses Wissen, das du für die wichtigste Gabe
des Lebens hältst, nur eine Münze ist, die es dir als Almosen zuwirft.
tzebe sie auf oder wechsle sie um, sie ist gut, wenn sie echt ist, denn dann
hat sie das Leben geprägt und sein Bild steht darauf. Aber das Erleben
 
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