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Kunstwart und Kulturwart — 27,3.1914

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Heft 18 (2. Juniheft 1914)
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Avenarius, Ferdinand: Urlaub
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Jaskowski, Friedrich: Wandervogelschriftstellerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.14289#0443

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Arlaub ein Ding ist, das der Einzelne braucht und das ihm deshalb
nach aller Menschenmöglichkeit gewährt werden muß. Wenn es sich bei
solcher Forderung nur um soziale Kämpfe handelte, so müßten die „Herrschen-
den" ihr vielleicht auch nachgeben, aber sie täten das allgemein mit Murren.
Ohne Murren tun's auch jetzt sehr viele nicht, aber das Murren ist nicht
allgemein und ist nicht laut. Der „Zeitgeist", der viel gescholtene, will's
nun doch mal so, und zudem: der Linsichtige murrt nicht viel, weil er
aus allerlei Bestrebungen im Volk erkennen muß, daß man auch dort
je länger je mehr vom Arlaub Besseres haben will, als Faulenzen. Wie
freie Zeit auszunützen sei — wer die Verhältnisse kennt, weiß, daß diese
Frage jetzt in weiten Kreisen fast >zum Studium geworden ist. And
weiß, daß damit die früheren einseitigen Beantwortungen leiser geworden
sind, die nur an ein bestimmtes Sonderinteresse oder das allgemein vage
„Ausspannen" dachten, weiß, daß man bis tief in die Kreise der Arbeiter-
schaft hinein „Erholung" als Lrgänzung, also Erganzung, als tzerstellung
des Ganzen, tüo begreift — körperlich so gut wie in Bekämpfung

des Fachmenschentums geistig. Das ist es ja auch, was mit der Abneigung
gegen den „Intellektualismus", mit der Freude an all der „Romantik^
in unserer Iugendbewegung steckt.

So oft man unsre Zeit eine Abergangszeit genannt hat, so oft kam die
Antwort: eine Abergangszeit war jede, denn eine jede war ein Werden.
Wer die technischen, wissenschaftlichen, wirtschaftlichen Entwicklungen der
letzten dreißig Iahre bedenkt, wird in ihnen doch wohl eine intensivere
Amwandlung der Lebensbedingungen unsers Volkes sehn, als in langen
Iahrzehnten vorher. Die neuen Zivilisationserwerbungen sind noch keine
Kultur, sie stellen nur Mittel zur Verfügung der Kultur, und die
Kultur benutzt viele von diesen Mitteln noch gar nicht für ihre Zwecke,
sie überläßt sie vielmehr der rein geschäftlichen Ausbeutung. Die neuen
Gedankenerwerbungen ihrerseits stellen an die Kultur oft nur Forderungen,
ja nur Fragen. Das Verarbeiten von all dem in Frieden oder
Kampf, das eben gibt der Zeit den Charakter als Abergangszeit. Daß sich
aber die Negenerationskraft in unserm Volk in so vielen bodenwüchsigen
und gesunden neuen Bewegungen betätigt, das berechtigt unser tzoffen:
in unsrer Zukunft liegt eine starke deutsche Kultur. Möglich, daß diese
dereinst der Arlaube unsrer Zeit als drollig kleiner Mittel lächeln wird.
Wir müssen sie dennoch schätzen und pflegen, um auch mit ihrer tzilfe^
nach Möglichkeit werden zu können, was wir sind. A

W andervog elschriftstellerei

/^^vMU'enn mir in der Lesehalle die Augen wehtun und ich plötzlich finde,
^M VHHier ist ja eine aufgeregte, dunstige Schulluft, dann greife ich zu
^^"dem immer vorhandenen Wandervogelheft. Es ist dünn, der
Amschlag frischfarben, der klare Druck gut angeordnet, kein greller dicker
Annoncenmantel, bevor man zu den ersten Zeilen kommt, ein paar ein«
fache Bildchen, die Beiträge kurz. Keine altbekannten Namen, keine Pro-
fessorentitel, kein Ragout, kein Zwischenreden einer besorgten Schrift-

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