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Kunstwart und Kulturwart — 27,3.1914

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Heft 15 (1. Maiheft 1915)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14289#0223

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Vom Heute fürs Morgen

Vom Glück des Llnerreichten

Bildet sich ein neues Asketentum?
an hat gesagt, es gehe ein neuer
asketischer Zug durch unsre Zeit.
Wer das hört, verwundert sich dar-
über — denn unsre Zeit, die alles
in Fülle gibt, die das gestern Un-
mögliche heute möglich macht und die
„Errungenschasten der Kultur" auf
dem Präsentierteller darreicht, scheint
doch zum Genießen und zum Aus-
kosten einzuladen und jedenfalls
allem sernzustehen, was nach asketi-
scher Genügsamkeit aussieht.

And doch will man bemerkt haben,
daß jetzt ein neues Asketentum ent-
stehe. Warum? Weil man sich
schließlich wehren muß gegen die
Aberfülle der Erscheinungen, weil
unsre Seele — wie unser Leib —
nicht fähig ist, alles, was sich bietet,
sich zu eigen zu machen, schließlich
weil man mit Recht anfängt, vor
der Oberflächlichkeit sich zu fürchten.

Gesetzt den Fall, man habe recht
mit dieser Behauptung — es gebe
also wirklich schon diesen Zug des
Mchtmitkönnens mit dem Reichtum
der Zivilisation — so wäre das, was
dort „Askese" genannt wird, das
Gegenteil von Genügsamkeit. Es
wäre der Kultus eines höheren
Glückes der Selbstbeschränkung, die-
weil am letzten Ende das Anerreichte
schöner ist als das Erreichte.

Der Erfolg ist ein hoher Augen-
blick, ein tzerbsttag von erlesener
Schönheit — das Leben aber kann
nur Sehnen und Kämpfen sein, wenn
es erträglich sein soll.

Am wieviel schöner ist doch unsrer
Seele das, was wir nicht besitzen,
und wie tief sinkt der Wert des Er-
sehnten, sobald wir es erreichen! Ie
näher das Ersehnte zu uns her-
untersteigt, weil wir im Kampfe zu
ihm emporsteigen, um so mehr ver-

liert es den mystischen Glanz der
Ferne. Es wird etwas Alltägliches
wie alles andere, was wir genossen
und verwarfen, und teilt den Fluch
des Alltäglichen, ungeachtet zu sein,
und wäre es das Wertvollste. Es
hört auf, uns Symbol zu sein, und
wenn wir etwas, was uns erfreuen
soll, nicht symbolisch nehmen, so wird
der Genuß tierisch, der sich daran
erfreut. Die Anpassung wirkt hier
als Fluch.

Wer aus der andrängenden Viel-
heit der Genüsse flieht, um seine
Freude auf eine enge Scholle zu be-
schränken, der treibt bewußt den Kul-
tus des Unerreichten. Er weiß, daß
nur das göttlich ist, was wir nicht
besitzen, und diese Gottheit sucht er
sich zu erhalten. Nenne man das
Selbsttäuschung, wenn man will —
aber es hat naturgegebene Arsachen.
Denn die Fähigkeit der Seele, zu
genießen, hat ihre Grenzen. Am
anderen Ufer steht die Blasiertheit,
die Krankheit, der Ekel. Iakob Was-
sermann hat in dem Dandy tzyrtl im
„Moloch" eine Gestalt gezeichnet, die
diesen Ekel am Genuß personifiziert.
Die eleganteste Dandykleidung ohne
Stäubchen und Tadel und mit der
Bügelfalte, das ist hier der vorletzte
Deckel der Persönlichkeit, der letzte
ist der Sargdeckel.

Dergleichen Beschränkung auf ein
einziges Symbol geschieht aus der
Einsicht heraus, daß die Erde, und
was sie bietet an Freude, Glück und
Größe, nicht ausgetrunken werden
kann, ja daß der Kommers des
Lebens, wenn etwa dieses Wett-
trinken versucht wird, die peinvollsten
Phantastereien eines tzöllenbreughel
übertreffen müßte. Nur das Stre -
ben nach Glück ist ein Zustand der
Gesundheit, das Genießen
gleicht leicht einem Zustande der
 
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