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Kunstwart und Kulturwart — 27,3.1914

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Heft 17 (1. Juniheft 1914)
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Lose Blätter
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14289#0390

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mit Geist und Leben gürten und das Zeugnis des lebendigen Gottes auf
ihre verjüngten Lippen nehmen?

Anser Christentum reizt zur Sünde, weil es nicht verstanden wird.
Es steht wie ein Antiguitätsstück mitten in den Mächten des Lebens. Es
predigt eine Weisheit, die nicht mehr in den Herzen haftet. So oft man
bei ihm Antwort sucht auf die tausend guälenden Fragen, wird man
bis ins Innerste verletzt durch seine ebenso unfähigen wie prompten Be--
lehrungen, noch mehr durch die selige Unbekümmertheit, womit es die-
selben abgibt. Wer die frommen Blätter regelmäßig liest, der weiß davon
zu erzählen.

sDie Entscheidungszeit^

^chnell, in Sturmeseile gehen wir diesen entscheidenden Zeiten entgegen.
^Sie kommen über uns, unwiderstehlich, schon schmettern die Kirchenpforten,
krachen die Kirchenbalken vor dem tzeulen ihrer Windsbraut.

Wir müssen dem lebendigen Gott die Ehre geben, nicht mehr auf beiden
Seiten Hinken.

Wir müssen alle falschen Nachgiebigkeiten und verlogenen tzalbheiten
von uns werfen.

Wir müssen verstehen und aussprechen lernen, daß Ewiges und Zeit-
liches nicht miteinander vermischt werden können.

Wir müssen zu zeugen anfangen von dem Gott, der nicht nur die tzerzen
rührt mit erbaulichem Worte, nein, der die Welt neu schafft, Berge stürzt
und Täler erhöht.

Wir müssen den Entscheidungskampf, den Gott mit der Welt führt,
mitkämpfen.

Keine Kompromisse mehr. Eine lebendige Moral, ein weltüberwindender
Glaube.

Vom Heute fürs Morgen

Vom Bewahrenden und
Schaffenden

enn man die Menschen, die
ein geistiges Leben führen, auf
ihr Verhältnis zu den Gütern der
Kultur hin prüft, so wird man immer
wieder zwei Grundmöglichkeiten ^r-
kennen, die der Einzelne zu allem
objektiv gewordenen Wertvollen
haben kann: er übernimmt und be-
wahrt die Inhalte, ,die ihm von
außen dargeboten werden; oder er
verändert sie schon im Ergreifen und
bildet Neues daraus. Rnmittelbar
ergeben sich der reproduktive und der
produktive Menschentypus. Der
Reproduktive übernimmt das
Vorhandene in einer Auswahl, die
seiner Art gemäß ist, und verleibt

es sich ein. Was er aufgenommen
hat, kann er wieder hervorholen, re-
produzieren. Eine vollkommen ge-
treue Erinnerung gibt es nicht;
jedes Erinnern ist verändertes Er-
innern, und zwar besteht die Ver-
änderung im Ausfallen von Be-
standteilen, in Schrumpfungen aller
Art. Es ist für diesen Menschen-
typus bezeichnend, daß er prin-
zipielle Umwandlungen der Inhalte
nicht kennt; Gedanken, Gefühle, Vor-
stellungen blühen nicht auf wie eine
lebendige Pflanze in gutem Erdreich,
sondern werden welk und farben-
matt wie ein tzerbariumgewächs.
Manches, was ins Herbarium hin-
eingelegt worden ist, hat sich erhal-
ten, andres ist zerfallen, kaum mehr
erkennbar. Der reproduktive Mensch
 
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