Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 27,3.1914

DOI issue:
Heft 13 (1. Aprilheft 1914)
DOI article:
Schumann, Wolfgang: Gestern, heute und morgen
DOI article:
Liebscher, Artur: August Halm in seinen Kompositionen
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14289#0026

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
in dem Zustandekommen einer stabilen parlamentarischen Verfassung, in
der Errichtung einer freien Aniversität von wirklicher Leistungkraft, in der
Schöpfung einer Dichtung die Menschheitgefühl in uns wach macht, in der
Gründung einer neuen freien und gesellschaftlich gelungenen „Akademie"
die geistige tzöhenluft atmen läßt, in einem Erfolg der ernsten Friedens«
bewegung oder der Äbstinenzbewegung, im Gelingen echter Volkserziehung
auf dem Balkan, in der Förderung einer Trennung von Kirche und Staat,
in einer Förderung freien starken Rechts Wichtigeres, Bedeutsameres, Er-
schütternderes als in den ungeheuersten kapitalistischen Tunnelprojekten,
wenn sie doch nur der Zivilisation, nicht der Kultur dienen. Ich werde nie
den Dichter vergessen, der mir einmal sagte: „Unsereiner würde sich
doch schließlich schämen, an einen so groben und gleichgültigen Stoff seine
Kraft ein Iahr lang gesetzt zu haben." Ia, ich möchte lieber ein Diogenes
des neunzehnten, als ein Alexander des zwanzigsten Iahrhunderts sein,
wenn diese Alexander aussehen wie dieser Mac Allan!

tzier ist noch anzumerken, daß Kellermanns schriftstellerische Technik seit
dem „Meer" zugenommen hat; sein „Tunnel" liest sich gut, er hält die
Mitte zwischen guter Zeitung und spannendem Kriminalroman reinen
Stils. Dichterisch liegt er unter dem „Meer". Der Mann, der einstmals
den „Tor" schrieb, ein Buch, das Innerlichstes erfühlen wollte, begnügt
sich jetzt mit schablonenhaften RomangestalteNi wie sie aus den amerika«
nischen Reisebriefen deutscher und dänischer Feuilletonisten leicht zu kon--
struieren sind, und sucht noch süchtiger als in seinem trunkenen „Meer"-
Roman den Rausch einer billigen Phantastik. Er hat den Weg vom
Familienblatt („Ingeborg"), der seltsamerweise über die Dichtung zur
Sensation führte, mit Sicherheit gefunden; man darf ihn bald auf dem
Parnaß Sinclairs, Dumas' und anderer feinerer Kinemakolorproduzenten
erwarten.

Die Zeitlichkeit des „Tunnels" ist ein Morgen, wie es widerstands-
unfähige Kinder der Ietztzeit sehen. Fern vom tzeute, dessen Tiefe, Schön-
heit, Fruchtbarkeit ihnen zu versteckt liegt, retten sie sich aus einem öden
Ietzt in eins, wo wenigstens Kräfte ihrer tzaltlosigkeit den Schein der
Festigkeit geben. And es ist folgerichtig, mit diesem Streben in das Land
zu gehen, wo „dn8iri688" das erste Wort sein soll und das ich ein großes I hat.

Wer aber gestaltet unser Morgen? Wann ersteht der Dichter, der
Nietzsche versteht? Rnd das tzerrliche, tzeilige, das unsere freiesten Geister
ahnen? Wir warten, wir lugen aus. Geklungen hat es schon vom hellen Tag
unserer Kinder. Friedrich tzuch, Franz Nabl, Schnitzler, Andersen-Nexö,
Björnson, Ibsen und manche Kleinere schlugen an die Glocke. Wann er-
steht der, der.sie schwingen macht? Wolfgang Schumann

V

August Halm in seinen Kompositionen

on August tzalm sprach Karl Grunsky im Kunstwart vor zehn Iahren
schon einmal; er machte auf das Streichquartett des noch ganz un-
bekannten Komponisten aufmerksam, hob die schlichte Innerlichkeit
dieser Musik hervor und das Organische und Notwendige in ihrem Aufbau,
betonte aber bereits, daß ihre ganze Art manchem Zuhörer „wie mit
einem Stich ins Neaktionäre behaftet" erscheinen könne. Inzwischen sind
auch andere auf das Talent tzalms aufmerksam geworden. Er selbst erfreut
sich in gewissen Kreisen großer Verehrung, nicht bloß als musikalischer

U
 
Annotationen