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Kunstwart und Kulturwart — 35,2.1922

DOI Heft:
Heft 10 (Juliheft 1922)
DOI Artikel:
Erdmann, Karl Otto: Debattier-Technik und die Kunst, recht zu behalten
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https://doi.org/10.11588/diglit.14435#0251
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Behält's gewiß.

Und komnr, ich hab des Schwätzens Äberdruß;

Denn du hast recht, vorzüglich weil ich muß.

Wie in jedem Kampf ist auch im Wortkampf nicht der Wille zur Wrhrheit,
sondern der Wille zur Macht wirksam. Änd cher Mensch, auch sonst kein
besonders edles Geschöpf, enthüllt gerade beim Streiten seine allerhäßlichsten
Seiten: Eitelkeit und Rechthaberei seiern Triumphe. Eine Äberzeugung an-
sechten erscheint als Entwertung der Persönlichkeit; eine Widerlegung gilt
als Feststellung geistiger Inferiorität. Daher klammert sich jeder krampfhaft
an seine Behauptungen; auch wer an der Güte seiner Sache zweifelt, setzt
alles daran, um wenigskens scheinbar Sieger zu bleiben. Amd so greift er
oft absichtlich, öfter ganz oder halb unbewußt zu allerhand dialektischen,
Schlichen und Finten. Sie sind zahlreich und mannigfaltig genug, aber sie
wiederholen sich immer und allenthalben. In Alltagsgesprächen und
Zeitungspolemiken, in Parlamentsdebatten und Gerichtsverhandlungen, ja
selbst in gelehrten Diskussionen begegnen wir den gleichen Typen, heute wie
vor Iahrhunderten. —

Vor zweitausend Iahren schon fügte Aristoteles seiner Topik einen Au-
hang bei „über die Trugschlüsse der Sophisten": ein heute wenig genießbares
Büchlein, dessen Beispiele uns unerträglich banal, ja vielfach läppisch er-
scheinen. Ich erwähne nur Sätze über die „Diäresis": Fünf ist gerade
und ungerade, denn fünf ist zwei und drei; oder über die „Prosodie",
wo der sofort durchschaubarL, Niemanden irre führende Trug in der ver-
schiedenen Setzung des Akzents sonst gleichlautender Wörter besteht; oder
die Fehlschlüsse und Widersprüche, die auf der Relativität unserer Ausdrucks-
weise beruhen: der Neger ist schwarz; da er aber weiß hinsichtlich der Zähne
ist, so ist er schwarz und nicht schwarz usw. Wer indessen das Grundsätzliche
zu erfassen versteht, der wird bewundernd erkennen, daß die von Aristoteles
aufgezählten Fälle in der Tat die wichtigsten Trugschlüsse umfassen, die auch
heute noch immer wieder benutzt werden und die, in verwickelten Gedanken-
gängen, durchaus nicht so leicht zu durchschauen sind. Der Autor hat sie aller-
dings auf die allereinfachste Form reduziert und wohl absichtlich durch
die albernsten Beispiele veranschaulicht, um die Widerlegung so drastisch wie
möglich zu gestalten. Diese Aristotelische Einteilung hat die mittelalterliche
Logik dann ausgesponnen und breitgetreten. Für ihre „Fallazien", die
natürlich ebensowohl als unabsichtlich unterlaufende Denkfehler, wie als
bewußt gemachte dialektische Kunstgriffe gelten können, hat sie lateinische
Fachausdrücke geprägt, die bis ins neunzehnte Iahrhundert eine große Rolle
in den Lehrbüchern der Logik spielten, und die zum Teil auch heute noch
unter Gelehrten in Gebrauch sind. Einige sind sogar in die Alltagssprache
der Gebildeten übergegangen, wie z. B. die „?etitio principii", die „Igno-
ratio elencdi" oder die Formel „p08l doc erZo propter doc".

Es wäre ein nützliches Unternehmen, an Stelle der verstaubten scholasti-
schen Weisheit eine wirklich moderne Debattiertechnik zu setzen. Schopen-
hauer wollte dies einmal tuu, wie er in seinem Aufsatz „Zur Logik und Dia-
lektik" im zweiten Bande seiner Parerga erzählt; hat es aber dann aufge-
geben, weil er fand, „daß eine solche ausführliche und minutiöse Betrachtung
der Schleichwege und Kniffe, deren die gemeine Menschennatur sich bedient,
um ihre Mängel zu verstecken", seiner „Gemütsverfassung nicht mehr ange-
messen" sei. Das von ihm gesammelte, ungesichtete Material hat Frauen-
städt unter dem Titel einer „Eristik" in seinem Nachlaß veröffentlicht. Neu

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