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Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 1.1911-1912

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Kornick, Walter: Kinderbücher einst und jetzt
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https://doi.org/10.11588/diglit.27186#0216
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KINDERBÜCHER EINST UND JETZT

Aus: BLUMENMARCHEN. Bilder, Texte und Lithographie von ERNST KREIDOLF
Verlag: HERMANN und FRIEDRICH SCHAFFSTEIN-KÖLN

haftigkeit und der überschäumende Humor selbst
war, der den braven Hüterinnen Sand in die
Augen streute. Durfte es Randolph Caldecott
doch wagen, mit Schelmengründlichkeit den
Kindern „auszumalen“, wie ein hochgeborenes
Jünkerlein, dessen affendummes Gesicht in all
seinen Abwandlungen ein Bilderbuch beinah
für sich allein füllen konnte, von einem —
Milchmädchen als Freier abgewiesen und schmäh-
lich verulkt wird! Von einer schier unerschöpf-
lichen Gründlichkeit sind Caldecotts Stift und
Pinsel und gleichwohl jedes darstellerische
Raffinement verschmähend, das kindlichen Augen
Not oder Verwirrung bereiten könnte. Er wählt
stets schlichteste, kindlichste Texte, meist alte
nursery tales, und doch wird ihm jedes Wort
beinah nicht zu einem, nein zu zwei, drei,
vier Bildern; er malt es aus, bis sein ver-
borgenster Bildgehalt wirklich und wahrhaftig
erschöpft scheint, und so fern solch ein Ver-
gleich ja eigentlich liegt, man möchte unseres
Johann Sebastian denken, wenn er der Musik
eines Halleluja nachstürmt bis zu den fernsten
Höhen seiner Deutungsmöglichkeiten. Caldecotts
Gestalten und Helden sind durchaus nicht bloß
Kinder, viel öfter sinds Erwachsene, und durch
diesen feinen Zug seiner Kunst erwies er sich
als einen viel besseren Kenner der kindlichen
Psyche als es die allermeisten englischen und
nichtenglischen Künstler vor und nach ihm
waren, die sich an die Kinder wandten und
glaubten, daß ein Kind sich hauptsächlich nur

für Kinder interessiere. Eine höchst wichtige
Rolle spielen in der lustigen gestaltenreichen
Welt Caldecotts die Tiere, deren Wesen ja
dem Kinde näher steht als irgend ein anderes;
namentlich wählte er gern edle Pferde und
Hunde, und in dieser Vorliebe erkennen wir
denn doch wieder den Engländer und ein
wenig auch den Aristokraten: aber keiner von
den andern ist gleichwohl in unsern Augen
so wenig Engländer, daher dem Verständnis
insbesondere des deutschen Kindes, des glück-
licheren, dessen „nurse“ die eigene Mutter ist,
so zugänglich als Caldecott. Nichts kennzeichnet
die lebensprühende, tatenfrohe Welt Caldecotts
gegenüber der beschaulich-lieblichen, mehr zum
Dekorativen hinneigenden Welt der trefflichen
Kate Greenaway besser als des ersteren Ver-
hältnis zu den Tieren. So sehen wir, wie die
ganze belustigende Liebestragödie des hoch-
geborenen Jünkerleins in allen ihren Phasen
von den beiden Hunden (dem des Jünkerleins
und dem des umworbenen Milchmädchens) mit-
erlebt wird. Mit derselben komischen Unvermittelt-
heit, die das Jünkerlein zu der Frage führt: „Shall 1
marryyou, my Pretty Maid?“ beginnen im Hinter-
gründe die Hunde einander mutige Springkunst-
stücklein vorzumachen, die ohne Zweifel ähn-
liches bedeuten. Ja es scheint, als würde in diesen
hündischen Tete-ä-tetes im Hintergründe der
Bilder recht eigentlich erst der kräftigste Boden-
satz der Situationskomik ausgeschöpft.

Dieser prächtige, zuweilen an Shakespeare

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