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allgemeingültiger, politischer oder auch nur sittlicher Maßstab vorhanden,
mit dem Wert oder Unwert der gegenüberstehenden Persönlichkeit ge-
messen wird — was immer an deren Taten geschehen müßte —, sondern
das Entscheidende ist die Unerkennung des „a nderen" Gesetzes, das das
gleiche Geltungsrecht beansprucht wie das eigene. Napoleon, der „Nerl",
der „die Welthandel nach seinem Sinn gezwungen" hat, handelt eben nach
einem fremden, gleichfalls durchaus persönlichen Gesetz, welches der große
Einzelmensch stets achtet, ohne nach der etwaigen Berechtigung desselben
zu fragen. Daß eine solche Beurteilung nicht mehr politisch bestimmt ist,
versteht sich von selbst.
Vie gesetzmäßige Beschränkung auf den einzelmenschlichen Bereich trägt
durchaus egoistisches Gepräge. „Ein Mensch, der um andrer willen, ohne
daß es seine eigene Leidenschaft, sein eigenes Bedürfnis ist, sich um Geld
oder Ehre oder sonst was abarbeitet, ist immer ein Tor "." „Vie Narren
von Deutschen schreien noch immer gegen den Egoismus und wollte Gott,
man hätte seit langer Seit für sich und die feinigen redlich, und dann für
die Nächsten und immer wieder nächsten redlich gesorgt, so sähe es viel-
leicht anders aus "."
hier wird Methode und Siel des goetheschen handelns klar: das
Schwergewicht liegt ganz im Individuum, vort gestaltet sich das Gesetz
des handelns als ein einmaliges, dem die Möglichkeit der Wirkung nach
außen gegeben ist.
Egoismus goethescher Herkunft fieht anders aus als der friderizia-
nische: „Vie Beispiele von der größten Uneigennützigkeit, die wir haben,
rühren aus der Selbstliebe her"." 1) „Woraus entsprang die edelmütige
Aufopferung der beiden veciusse, die ihr Leben freiwillig Hingaben, um
ihrem Vaterland den Sieg zu verschaffen? . . . Wie viele rühmliche Taten
hat man nicht im Grunde dem Instinkt der Selbstliebe zu verdanken . . .
Vie Namen eines Sokrates, Aristides, Nato, Brutus, Antonin und Marc
Aurel werden in den Jahrbüchern des menschlichen Geschlechtes so lange
leben, als es noch tugendhafte Seelen in der Welt gibt"."
Darin besteht der Unterschied: Bei Goethe geht das Streben tatsächlich
zunächst nach Vollendung seiner selbst. Vie innerhalb des Lebens vorhan-
denen Gegebenheiten werden in den vienst der Persönlichkeit gestellt. Bei
dem friderizianischen Menschen ist das Streben umgekehrt: es geht auf
Gestaltung der Gegebenheiten selbst. Im ersten Fall spielt das politische
keine Rolle, im zweiten ist das handeln schlechthin politisch. Daß der
Mensch dabei zur Erfüllung seiner selbst gelangt — feine Eigenliebe be-
friedigt — ist nur ein sekundäres Ergebnis.

" „lverther", 19, 56—57.
" 5ln Jelter, am 18. 4. 1818.
" Friedrich II., Werke, „über die Eigenliebe".

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