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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0351
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Tegernsee und der Schandl.

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verbietet den Zweikampf. Sie beleidigen mich vergeblich!" — Hierauf
ergriff er den Arm der Nichte, die sich mäuschenstill verhielt, und
führte sie ins Haus.

Auch wir verlangten ein Zimmer und hielten Rat, was zu thun.
Mit dem alten Hitzkopf konnten wir nicht lünger verkehren, wir be-
fchlosfen, ohne Säumen aufzubrechen und noch heute nach Kreuth zu
wandern. Wir waren gerade zu diefem Entschluß gelangt, als wir
durchs Fenster Onkel und Nichte zum See hinabgehen sahen; ver-
mutlich wollte er feinen Zorn im Freien abkühlen. Somit hatten
wir keine Begegnung mehr im Haufe zu fürchten. Wir hatten in
München die Gedichte Kobells in oberbaierischer Mundart als An-
denken für die Nichte eingekaust, fchrieben jetzt eine freundliche Wid-
mung in'das Buch und ließen es auf ihr Zimmer tragen. Dann
hängten wir unsere Täschchen um und machten uns auf den Weg
nach Kreuth.

Eine Zeit lang gingen wir verstimmt nebeneinander her. Unser
Wörterbuch war um ein neues Wort reicher geworden. Schandl be-
deutete in Zukunft ein plötzliches Zerwürfnis unter Reifegefährten,
einen Riß, der ein kaum geknüpftes Band Knall und Fall und für
immer löste. Bald jedoch verscheuchte die frische Luft der Berge Ver-
druß und Betrübnis. Wir trösteten uns mit einem Schnaderhüpferl
eigner Poesie:

Auf Reisen, da giebi's halt
Oft plötzlich einen Wandl,

Die Freundschaft vom Morgen
Wird abends znm Schandl.

Jn Kreuth fchmeckte uns das Abendbrot ganz gut und als wir
unsre Betten aufsuchten, weihten wir, eingedenk der göttlichen Tag-
lioni und der Zauberin Lola, ein Viertelstündchen der edeln Tanzkunst,
bevor wir uns niederlegten und in tiefen, erquickenden Schlummer sanken.
 
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