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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0350

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Tegernsee und der Schandl.

der andern Seite zu dem Schandl zu gelangen. Als wir die Brücke
erreicht hatten, wechselte mein Freund einen Blick mit der jungen
Dame, den sie ohne weitere Erklärung verstand. Die Brücke war
nagelneu, hinreichend breit und glatt, und sie chassierten hinüber.
Dann eilten wir zu dem nahen Schandl.

Der Gasthof hatte ganz und gar ein ländliches Aussehen; um
in das Haus zu kommen, gingen wir durch einen geränmigen Hof.
Hier stand bei Wirt und Wirtin der Onkel, mit rotem zornigem Ge-
sicht, er war offenbar außer sich, daß wir noch nicht eingetroffen waren,
nnd machte seinem großen Aerger mit Schelten Luft. Ein wenig ab-
seits standen Knecht und Magd und konnten ihre Freude über das
Schauspiel, das der fremde Herr vor ihnen aufführte, nicht verbergen,
sie brannten offenbar vor Begierde, die Szene zu genießen, die es
jetzt bei unserem Eintreffen absetzen würde.

Wir eilten sofort auf den Onkel zu, um uns zu entschuldigen,
aber er achtete auf Bronner und mich nicht, sondern wandte sich nur
an die Nichte und zeigte ihr seine rechte Hand, woran die Hant ein
wenig abgeschürft war. Er hatte nur einen Träger für seinen Koffer
aufgetrieben und in seiner Ungeduld mitgeholfen, ihn heraufzuschaffen,
statt den Schandlwirt dafür sorgen zu lassen. „Schau her! wie ich
zugerichtet bin," rief er der Nichte zu, „während ich mich mit dem
Gepäck abquäle, läufst du mit den jungen Herrn in den Bergen herum,
statt hier Quartier zu bestellen." Vergebens versuchten wir es noch-
mals, alle Schuld auf uns zu nehmen; er ließ nns nicht zu Worte
kommen und wies uns barsch ab: „Jch habe nicht mit Jhnen zu rechnen,
sondern einzig mit meiner Nichte." Jch schämte mich vor den Wirts-
leuten und Dienstboten, wandte mich an meinen Freund und forderte
ihn auf, mit mir ins Haus zu gehen, mit der Bemerkung: es sei doch
sonderbar, daß der Herr unsre Entschuldigungen nicht einmal anhören
wolle. Damit schlug ich dem Fasse den Boden vollends aus. Der
Alte hatte in Göttingen zu einer Zeit stndiert, wo das Wort „fonder-
bar" einen „Tusch" bedeutete und auf der Mensnr gesühnt werden
mußte. Jch hatte nicht entfernt daran gedacht, ihn zu beleidigen und
ein Duell herbeizuführen, er aber rief, auf das äußerste erregt:
„Mein Herr, Jhre Herausfordernng beachte ich nicht. Meine Kirche
 
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