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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0427
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Die Heerfahrt nach Holstein im Angnst 1848. 40?

der die Hochschule absolviert, aber sein Examen noch nicht gemacht
hatte; seine Heidelberger Freunde nannten ihn, um seines treuherzigen
und etwas ruppigen Wesens willen, den Förster. Er hatte sich im
Frühjahr bei seinen Eltern, braven Pfarrersleuten in der Nähe von
Freiburg, auf das Examen vorbereitet, als der Aufstand losbrach,
Hecker über den Schwarzwald marschierte und die Aufständischen Frei-
burg verbarrikadierten. Da litt es ihn nicht zu Hause; statt mit
Gottes Wort auf der Kanzel zu Frieden und Gehorsam zu mahnen,
griff er zum Gewehr und kämpfte auf der Barrikade wider den Feind,
der die Stadt erstürmte. Es gelang ihm, unversehrt zu entkommen,
und seine Teilnahme an dem Kampfe blieb verborgen. Aber der
Pulverdampf, das Zischen der Kugeln, die Aufregungen des Gefechts
hatten unsrem „Förster" wohl gefallen, und als die badische Brigade
gegen die Dänen geschickt wurde, meldete er sich in Rastatt als Frei-
w.illiger, um für das Vaterland an der Nordmark des Reichs zu
streiten. Jch sah ihn mühsam im heißen Sonnenbrand daher mar-
schieren, den schweren Tschako auf dem Haupt, die Last des Toruisters
auf dem Rückeu, die Muskete auf der Schulter; ich lud ihn ein, auf dem
„Pflasterkasten", der Ambulance, aufzusitzen, denn ich besorgte, er werde,
der Anstrengung noch ungewohnt, wie so viele andre, zusammensinken.
Er wies mich jedoch bestimmt ab und marschierte weiter, bis wir die
ersehnten Quartiere in dem Städtchen Mühlburg bei Karlsruhe be-
zogen. — Kaum hatte ich meine dringendsten Geschäfte erledigt, so
eilte ich, ihn aufzusuchen. Jch fand ihn gesund und gut aufgehoben,
traute aber meinen Augen nicht: es war eiue Stunde vergangen,
uud doch steckte er noch in voller Rüstuug und saß, mit Tschako
und Toruister, das Gewehr in der Haud, erust vor sich hinblickend,
auf dem Rande des Bettes, das ihm für die kommende Nacht
zugerichtet war. Jch erschrak: „Um Gotteswillen, Förster," rief ich
ihm zu, „hat dich ein Sonnenstich um den Verstand gebracht? was
fehlt dir?" — „Nichts fehlt mir, aber ich ruhe uud raste nicht, bis
ich mich an die Montur und Armatur gewöhnt habe!" — Der wackere
Förster hat die Fahrt nach Holstein glücklich mitgemacht und sich an
Montur und Armatur gewöhnt. Er ist 1849 über das große Wasser
gesegelt und hat in der neuen Welt eine neue Heimat gefuuden, nicht
 
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