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Lachen links: das republikanische Witzblatt — 2.1925

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https://doi.org/10.11588/diglit.8804#0192
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Wenn f i e h e u 1 e lebten...

VII. Zeichnung von Fred Knab

Dante begegnet Beatrice

Magdeburger
Prozeß

Ein Zukunftsbild

21 783. Verhand-
lungstag.

3m Barett des Vor-
sitzenden nisten schwal-
ben. Der Bart eines
Beisitzers ist durch den
Tisch gewachsen, der
Staatsanwalt wegen
Neberaltcrung pensio-
niert. Deir Gerichts-
schreibcrumranktEphcu.

Statt des mitilerwcile
verstorbenen Angeklag-
ten steht ein verlöteter
Zinksarg auf der An-
klagebank.

Der Vorsitzende:

Wie ich aus deir Akten
feststelle, existiert in
Deutschland immer
noch eine Person, die
wirhiernichtalsZeugcn
vernommen haben. Das
ist ein Skandal. Ich
fra g e, w o fü r d er B e t r c f-
fende — er heißt Paul
Kaludrigkcit, wohnhaft
in Werneuchen — be-
nannt werden könnte.

Verteidiger R. A. Lütgebrunes
sei. Nächst: Kaludrigkcit soll vor23 Jahren
Beziehungen zu einer gewissenIdaKußmich,
jetzigen Witwe Niedergesäß unterhalten
haben. Diese Ida Kußmich ist eine ent-
scrnte Verwandte des SchlossersKasclowski,
der zusammen in einer Werkstatt mit dem
Monteur Ernst Graue arbeitet. Graue ist
aber jener Pauptzeuge, der vom Zeugen
Paul Schulze gehört hat, daß der Zeuge
Schievelbein gesagt hat, daß der Zeuge
Syrig gesagt hat, daß Ebert im Treptower
Park gesagt hat: „Streikt!"

Der Vorsitzende: Das beste wäre,

den Zeugen sofort durch Flugzeug hcran-

2V E R R

zuholen. Leider liegt nun aber ein kreisärzt-
lichcs Attest vor, wonach Kallidrigkeit zur-
zeit transportunfähig ist. Ein Auto hat
ihm vorige Woche beide Beine abgefahren.

R. A. Lütgebrunes sel. Nächst: Es
besteht doch gar kein Grund, wegen solcher
Lappalie hier zu schwänzen. Ich habe sichere
Nachricht, daß Kaludrigkcit vor zwei Mo-
naten sogarnochaufeiner Pochzeit getanzt hat.

Der Vorsitzende: Daswardochimmcr-
hin vor dem Anfall . . .

R. A. Lütgebrunes sel. Nächst: Ec
hat sich die Beine nur abfahren lassen, um
hier nicht aussagen zu müssen.

Der Vorsitzende: Vielleicht umgehen

JE

wir die Schwierigkeit,
wenn sich das Gericht
nach Werneuchen be-
gibt und den Kaludrig-
keit dort vernimmt.

R.A.Lütgebrunes
sel. Nächst: Einver-
standen. Ich mache aber
darauf aufmerksam,daß
meine Befragung des
Zeugen mindestens eine
Woche dauern wird.
Ich stelle nämlich u. a.
unter Beweis, daß in
derFamilie desZeugen
ein Trinker existiert, fer-
ner, daß Kaludrigkcit
im Jahre 1921 zuwenig
Steuern gezahlt hat,
ferner, daß seineTochter
ein Kind hat von einem
gewitzen...

Der Vorsitzende:
Sollte das nicht doch
etwas vom eigentlichen
Thema ab führen?
R.A.Lütgebrunes
sel. Nächst: Ganz im
Gegenteil! Gerade hier-
aus geht doch der Lan-
desverrat Eberts ganz
deutlich hervor, daß er
sich um diese Dinge gar
nicht gekümmert hat.
Der Vorsitzende: Pat der Angeklagte
selber etwas zu beantragen?

Stimme aus dem Zinksarg: — —

-! (bekanntes Goethezitat.)

Der Vorsitzende (nach kurzer Be-
ratung): Es wird antragsgemäß verfahren
werden. — Im übrigen gebe ich bekannt,
daß gemäß Ministerialerlaß zur Verein-
fachung der Rechtspflege dieses Verfahren
mit dem preußischen Barmat-Ausschuß zu-
sammengelegt wird. Die Verhandlungs-
methoden dieses Ausschusses sind den unfern
durchaus angepaßt. Die Verhandlungen
st nden fortab gleichzeitig im selben Raum statt.
(Die Sitzung dauert an.) (m. v. l)

€ HTSIiANDI 1» A T

Seht sie euch an, die hinter ihm stehn,
dann könnt ihr bei Gott in die Zukunft sehn,
wie er es wird drchn, wie euch es wird gehn,
wenn er es macht —!

Seht ihn euch an, wie aus dem Plakat
seine schiefe Kasernenhoflippe euch grad'
anschnauzt: „Lände an die Posennaht!"
und hinter ihm ein Säbel lacht!

Seht ihn euch an, diesen feinsten Mann,
diesen Zieher im Kapitalistengespann,
diesen Throne-, Barrierenzimmermann —
durchschaut es und wacht!

Pinter ihn: Wehrwolf, Iungdo, Kanonen,
alles zum Schutze der Gelchackdrohnen,
hinter ihm hohngeschlitzte Arier,

Militär, Kapital, Industrie, Agrarier!

Er ist ihr „Mann der Tat" und die

heißt „Nieder mit euch! Ihr seid nur Vieh!",

heißt „Siegreich woll'n wir! Peißajuchhei!

Viel Feind, viel Ehr! Ist einerlei!"

Er schwört heute noch treu der Republik,
doch morgen dirigiert er schon die Musik —
Militärkapelle und Zapfenstreich,
mit dem Landbund für Kapital und Kaiserreich!

Nun denkt daran, was hat er getan —?
Schwarzweißrot trug er voran!

Nun d.nkt daran, was hat er gewollt —?

Alte Zeit, nie Schwarzrotgold!

Nun denkt daran, was er euch bringt —
die Peitsche, die wieder niederzwingt!

Nun denkc daran, wohin er euch führt —
dorthin, wo der Tod die Trommel rührt . . .
Denkt doppelt daran, an die alte Zeit,
an den Notwehrschrei, der aus ihr jchrie,
und denkt an das, was ihr könnt, was ihr seid
und sammelt euch wieder in Einigkeit
und seid bereit —

„er" — nie!

Josef Maria Frank.

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