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Die babylonische, die aztekische, die chinesische.
Aber sprechen wir nicht mehr davon. Wer sich näher
dafür interessiert, sei auf Otto Bergemanns Berge und
Thäler der Aeonen, Jena, 1804, Verlag Weidebach, 8°,
Hlbfrz., hingewiesen.

Um 4700 vor Christi Geburt herum lebten hoch im
Norden, von Meeren und Eisbären eingeschlossen, die
Eheren, Nachkommen und Untertanen des greisen
Königs Holzkopp. Der war berühmt wegen seiner
weichen, gütigen Seele, die ihn bewog, mit jedem
harten, trotzigen oder auch nur energischen Menschen,
der ihm begegnete, Händel anzufangen und ihn klein-
zukriegen. Und so hatte er längst alles, was ihn im
weiten Kreise umgab, kleingekriegt und herrschte dar-
über in gütiger Weichheit. Handel und Wandel und
Künste blühten. Nutzhölzer, Zierhölzer, Fässer,
Wagen, Schlitten, Laubsägearbeit und Holzbildhauer.
Das Volk war zufrieden, verfiel auch nicht in bosheit-
brütende Langeweile, weil im Laufe der Jahre sich
immer mal wieder ein Fremder nach dort verirrte, der
die Eheren in ernstes oder heiteres Staunen versetzte.
Weil er seltsame Kleider und Gegenstände trug, nicht
Eherisch verstand und keinen Mihinka trinken konnte,
diesen köstlichen, aus Renntierläusen und Meerrettich
hergestellten Naturwein.

Selbstverständlich wurde solcher Fremdling zuerst
zum König geführt, der ihm vieles schenkte, einiges
nahm und ihn in der Form von Belehrungen aus-
forschte. Besonders sympathischen Gästen pflegte er
sogar ein Geheimnis mitzuteilen, von dem keiner
seiner eigenen Untertanen etwas wußte. König Holz-
kopp war nämlich Erfinder und Besitzer des mag-
netischen Nordpoles. Dieser bestand aus einer kleinen
Pastete, die der König in guter Stunde gebacken hatte
und nun in einem, von hohen Mauern geschützten,
großen Garten aufbewahrte. Die Pastete blieb aber
auch für die sympathischen Gäste unzugänglich und
unsichtbar, weil sich darüber ein gigantischer Haufen
von angezogenen Eisengeräten angesammelt hatte.
Speere, Schwerter, Nagelfeilen, Ankerketten, Enter-
haken, Nähmaschinen, Stacheldraht.

Die Fremdlinge, die ins Land der Eheren verschlagen
wurden, waren zum Teil recht bemerkenswerte Leute.
Im Gästebuch des Königs stehen Namen wie: Luluhili,
genannt der eiserne Kanzler von Phöniziern Oder:
Mabius, Degenschlucker aus Mittweida.

Solchen Persönlichkeiten von zähem, willensstarkem
Naturell oder stählerner Entschlossenheit und den
sympathischen Gästen pflegte der König später,
nachts, in guter Stunde, wenn sie schliefen, unter
gütigem Lächeln die Kehle abzudrücken.

Die drahtlose Telegraphie — in anderer Methode als
später in Europa — wurde erfunden. Allerdings zu-
nächst nur der gebende Teil. Der König und seine
Untertanen sandten zahllose Telegramme in die un-
bekannten Fernen hinaus. Zum Beispiel: „An alle. Ich,
König Holzkopp, habe durch mein Volk die halbe
drahtlose Telegraphie erfinden lassen.“ Auch kurze
Kabelworte: „Prosit Neujahr! Die Eheren.“

Ungeheures Aufsehen erregte es, als der zweite, der
aufnehmende Teil der drahtlosen Telegraphie erfun-
den wurde. Mit elementarer Spannung wartete alles.
Wirklich traf ein Funkspruch ein.

Uha, die greisenhafte Großmutter des Königs, war
die Einzige, der es gelang, Sinn in die fremd-
sprachlichen Worte zu bringen. Sie übersetzte: „Ihr,
König Holzkopp, und ihr Eheren alle könnt uns, die
Holzeren, Eure Antipoden, am-“

Das Telegramm war noch länger, jedoch beim Vor-

lesen des Wörtchens „am“ ward Uha vom Schlage
gerührt. Weil sie derart zu Tode beleidigt worden
war, und man nun den Schluß nicht erfuhr, so fühlten
sich die Eheren gekränkt. Und der König geriet in
solche Wut, daß er sich nackt auf den Thron begab,
die Mobilmachung befahl und niemals wieder Kleider
anlegte. Das Volk hingegen bekleidete sich mit
hölzernen Rüstungen und Schuhen, denn Metall war
ihm unbekannt, griff zu hölzernen Waffen und schiffte
sich auf hölzernen Barken ein. Der König nahm
heimlich die halbe Pastete mit.

Damals gab es außer und nahe dem geographischen
Südpol noch einen holznctischen Südpol, der die Eigen-
tümlichkeit besaß, alles Hölzerne anzuziehen. Daß die
Quelle dieser Wunderkraft letzten Endes in einem
Pudding bestand, wußte nur Stahlhaupt, der harte,
grausame König der Holzeren. Er hatte den Pudding
gekocht und wußte ihn im Geheimgarten, unter einem
Riesenberg von angezogenen Holzgeräten verwahrt.
Ruder, Bootsplanken, Pfahlbauten, Särge, Quirle, Blei-
stifte.

König Stahlhaupt lief sein Leben lang immer nackt
herum. Er haßte Weichlinge und Schlappschwänze,
und wenn je Fremdlinge von derartiger Charakterbe-
schaffenheit sich ihm oder seinem Lande näherten, so
reizte er sie durch Beleidigungen und stellte sich
gleichzeitig ängstlich, unsicher, bis die Gekränkten ihn
angriffen. Dann, weiterreizend, floh er zum Schein,
ließ sich sogar etwas verprügeln, um ihre Tapferkeit
noch weiter anzuspornen. Bis er sie schließlich aus
Notwehr totschlagen mußte.

Ein historischer Funkspruch traf ein. Die Holzeren
betranken sich mit Wimmhubs, ihrem schmackhaften,
aus Pinguinbutter und Soda hergestellten National-
likör. Dann legten die Untertanen Stahlpanzer an und
bestiegen eiserne Schiffe, denn Holz war ihnen ein
unbekanntes Mineral; und der nackte Stahlhaupt folgte
ihnen und trug heimlich den Pudding in der Hand.

Ob es anno 4680 war, also in dem Jahre, von dem
der Wikinger Historiker Wlehd erzählt, daß es durch
eine ungeheure magnetische Deviation alle nautischen
Berechnungen über den Haufen warf? Oder später?
Sicher ist nur, daß auf dem Meere, welches damals die
Gegend des heutigen Rastenburg bedeckte, die beiden
Flotten einander in Sicht kamen.

Da geschah sofort etwas Unerhörtes, Einzigartiges.
König Stahlhaupt war, der besseren Übersicht wegen,
mit seinem Schiffe etwas hinter den anderen zurück-
geblieben. König Holzkopp andererseits stand, die
halbe Pastete in Händen, auf seinem Flaggschiff und
hatte aus kriegerischer Bescheidenheit den anderen
Schiffen einen gewissen Vorsprung gelassen. Plötzlich
sahen beide Könige ihre Flotten in rasender Ge-
schwindigkeit dem Feinde zufliegen und fühlten beide
gleichzeitig, wie ihr eigenes Schiff ihnen unter den
Füßen wegglitt. Eine tausendstel Sekunde später war
folgende Situation perfekt: König Stahlhaupt stand,
von lauter holzgepanzertcn Eheren umringt auf einem
der dicht aneinandergepreßten Holzschiffe. König
Holzkopp hingegen befand sich auf der eisernen Flotte
von lauter Holzeren umringt.

Erst jubelten beide Völker über den gefangenen
König, dann trauerten sie über den verlorenen König,
dann entdeckten beide Völker das Ausgleichende ihres
Schicksals und verabredeten funkentelegraphisch einen
Königsaustausch. Auf ein bestimmtes Signal hin sollten
beide Parteien ihren Gefangenen in einem Ruderboot

(Fortsetzung auf Seite 149)

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