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Zeichnung von Aloi» Florath

Erich Weinert: Frühling sahnen

Der Frühling naht im rieht’gen Format
Mit vorschriftsmäßigem Brausen.

Selbst der angestellteste Bürokrat
Macht längere Frühstückspausen.

Auch Hunde verspüren erotischen Reiz.
Die Menschen träumen obszön,

Solange nicht behördlicherseits
Bedenken im Wege stehn.

Ach, sagen wir doch ganz offen:

Der Lenz ist eingetroffen!

Das bißchen Frost im Seelenkompost,

Das macht uns wenig Beschwerden;

Es gewähren uns freundlich Logis und Kost
Die Strafvollstreckungsbehörden.

Erfreulich steigt die Erwerbslosenzahl
Mit der Preisbildung Hand in Hand.
Schon grünt es in Hugenberg und Tal
Im herrlichen Vaterland.

Gestehn wir uns etwas beklommen:

Der Lenz ist angekommen!

Es riecht verdammt aus dem Heeresamt,

Es riecht aus den Femekloaken.

Das Hinterheer ging pleite mitsamt
Dem Kreuz mit dem Winkelhaken.

Die völkische Pappel ist kahl und zerfetzt
Der Winter war ihr Ruin.

Da hat sich der Frost an die Wurzel gesetzt;
Nun wird sie nicht wieder grün.

Wir wollen das Beste hoffen.

Der Lenz ist eingetroffen!

Es ist noch kalt in der Völkeranstalt,

An der man mit großem Gefühl hing.

Da schauert’s Hagel. Doch warte nur, bald:
Auch da kommt einmal der Frühling! —
Der edle deutsche Monarchenverband
Von Doorn bis zur Polackei,

Dem schenkt sein geliebtes Vaterland
Ein hohles Osterei. —

Und platzen auch alle Frommen:

Der Lenz ist angekommen!

Alpenverein

Im deutsch-österreichischen Alpenverein spielen sich augen-
blicklich heftige Kämpfe ab, da die reaktionäre Mehrheit den
Ausschluß der jüdischen Mitglieder betreibt. Man könnte mei-
nen, baß Bergsteigen nichts mit der Konfession zu tun habe.
Dem ist aber nicht so. Es ist noch nie etwas Gutes dabei
herausgekommen, wenn Juden in den Bergen hemmkletterten.
Zum Beweise:

Als Moses den Berg Sinai mehrfach bestiegen hatte und
einmal wieder herunterkrm, da gab es ein fürchterliches Ge-
witter, Blitze zuckten, Donner krachte, der ganze Berg rauchte
und war in eine Flammensäule gehüllt und es gab ein großes
Erdbeben. Die Entfesselung der Elemente war so gewaltig, daß
das Volk vor Entsetzen erbebte.

Als derselbe Moses später dieselbe Hochtour machte und mit

den steinernen Tafeln zu Tal kam, da fand die bekannte, un-
konzessionierte Tanzlustbarkeit um das goldene Kalb statt, bei
deren Anblick besagter Moses eine Sachbeschädigung beging,
indem er die steinernen Tafeln zertrümmerte.

Das waren die Folgen dieser beiden Bergtouren! Weiter:
Jesus zog in Galiläa umher, stieg auf den Berg und verkündete
den um ihn versammelten Jüngern die Bergpredigt, die auch das
Gebot enthält: „Liebet eure Feinde." Ist diese Lehre nicht in
höchstem Maße geeignet, die Ertüchtigung und Wehrhaftigkeit
des Volkes zu untergraben und den verruchten Geist des Pazi-
fismus und der Menschenliebe zu verbreiten?

Was haben also die Juden in den Bergen zu suchen? Hat
die Mehrheit des deutsch-österreichischen Alpenvereins nicht
recht? M. F. M.

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