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Paul Steegemann: Kleine Geschichte aus Deutschland

Neulich, vor ein paar

Wochen, trafen wir uns wieder: auf der Leipziger Messe.

Der Max und der Karl machten in Textil. Der Edu, der Fritz und ich in Buch-
handel. Teils als Vertreter, teils solo. Wie das so ist. Wir saßen auf Stühlen, am Ufer der Pleiße, und
tranken immer noch eins. Und erzählten Geschichten. Zwischendurch summt Edu eine Melodie. Daraus ward ein fünfftimmiger Gesang.
Aber nicht lange. Plötzlich steigt ein Meßonkel auf den Stuhl und macht Klamauk, hält eine Rede gegen das
Benehmen der Ausländer und wirft als erster sein BierglaS dem Max an den Kopf.

Das hatte Folgen. Auf der Wache stellte der Sipomann unsere Per-
sonalien fest und den Text des Liedes. Er hieß:

„Gaudeamus igitur“.

Haut sie, daß die Lappen fliegen . . .

Kaiser Wilhelm saß ganz heiter
Jüngst zu Dorn. Dacht gar nicht weiter
An die Sorgen dieser Welt.

Da trat an sein hohes Thrönchen
Eines schönen Tags sein Söhnchen
Und verlangte noch mehr Geld.

Wilhelm sagte: „Meine Gelder
Sind bald alle, balde, bälder.

Denn wir leben alle bon.

Sage mir, wie wir es schaffen,

Daß wir leben wie Schlaraffen
Ohne Arbeit. — Nun, mein Sohn?“

Dieser kratzte sich die Nase
Und geriet dann in Ekstase,

Worauf er im Brustton spricht:

„Fern in Deutschland gibt es Gelder,
Gibt es Schlösser, Schätze, Wälder,
Außerdem auch ein Gericht.

Wenn nach alten Paragraphen
An uns, die in Sorge schlafen,
Alles dies wird abgeführt,
Können wir in Ruhe leben,

Unsre Freundin auch daneben,
Ich fühl mich schon neu rasiert.

Wilhelm klatschte in die Hände:
„Gebe Gott, daß so sich wende
Unser elendes Geschick.

Gern verzieht ich auf den Thron ja,
Wäre nur erst die Million da. —
Ach, es gibt doch noch ein Glück.“

„Denn das Volk, es wird uns senden
Alles. Gern. Mit vollen Händen
Strömt herbei das Völkergold.“
Wilhelm setzte sich aufs Stühlchen,
In der Brust ein Hochgefühlchen —
Doch es hat nicht sein gesollt.

Vielmehr sank der Thermometer
Treuer Liebe. Heute steht er
Nahezu auf Minimum.

Und um Fürsten und Maitressen
Trauert lediglich indessen
Hugenbergsches Publikum.

D i e Kolonien für S ch w a r z--W e i tz--R o t

Nicht nur in

den Kreisen deö Auslandsdeutsch-
tums, sondern auch bei den ehemaligen Ausländsdeutschen
bzw. deutschen Ausländern hat man die Flaggenverordnung lebhaft begrüßt.

In Südwest haben die Hereros, soweit noch vorhanden, Jubelfeste anläßlich des Wieder-
erscheinens der Farben veranstaltet, unter denen sie so glorreich kämpfen durften, und deren Trägern sie überreichlich
Errungenschaften der modernen Zivilisation verdanken. — In China entsinnt man sich jetzt wieder mit besonderer Freude der Kulturbringer,
die unter dem berühmt gewordenen Motto „The Germans to the Front!“ im Reiche des Himmels Segen
verbreiteten. — Und die Südseeinsulaner, denen deutscher Branntwein die Befreiung von
allzu zahlreichem Bevölkerungsüberschuß vermittelte, sind ganz außer sich vor
Vergnügen. — Woraus wieder einmal die Überlegenheit naiver
Naturkinder über unsere angekränkelten
Nörglernerven daheim
hervorgeht.

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