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Gut gegeben

Ein bekannter Schriftsteller fährt neu-
lich mit einem der reichsten deutschen
Bankiers im Auto an den Bahnhof. Der
Bankier will verreisen und hat einen
schweren Koffer auf dem Auto. Am Bahn-
hof angekommen, ruft er einen Dienst-
mann, läßt sich das schwere Gepäckstück
durch die Sperre schleppen und gibt dem
verblüfften Mann für diese Anstrengung
fünfzehn Pfennig, drei Fünfpfennigstücke.

Der Mann hält das Geld in seiner rissigen
großen Hand und betrachtet es mit offenem
Munde. Da zieht der Schriftsteller die
Brieftasche, nimmt einen Zwanzigmark-

Wi e sie einen

Zeichnungen von

Die Tänzerin.

Die Zanksüchtige.

schein heraus und gibt ihn
dem Gepäckträger.

„Enschuljn Se, det sinn
ja . . . Sie wer'n Ihnen
wohl irren", sagt der Ge-
päckträger.

„Nein, dieser Herr hier
hat sich geirrt", erwidert der
Schriftsteller und geht, ohne
den Bankier auch nur eines
Blickes zu würdigen.

Der Bankier soll sich bis
heute noch nicht wieder erholt
haben. . . .

Ihr Stolz

Die Frau Obersekretär in dem kleinen Stäbchen
hat einen Salon mit schönen Polftermöbeln, die immer mit
blütenweißen Überzügen versehen sind, und das Zimmer ist ein
Prachtstück kleinbürgerlicher Kultur und wird nur geöffnet,
wenn gestöbert wird oder wenn ein hoher Besuch, z. B. die
Frau AmtSvorftand, kommt, die sich dann auf das von seiner
Hülle befreite Sofa setzen darf. Und sonst ist das Zimmer
immer versperrt und es darf niemals niemand hinein.

Die Frau Obersekretär hat auch eine etwas ältliche Tochter,
und das Haus, in welchem ObersekretärS wohnen, gehört dem
Schmied, und der Schmied hat einen jungen, starken Gesellen.

Der Pedant.

Und der Geselle und die Tochter — und eines be-
dauerlichen Tages gibt es seitens der Tochter ein
tränendes Geständnis und Zorngeschrei von seiten der
Mutter, und wie man sich mit so einem einlaffen könne,
der wo nicht einmal ein Beamter sei und keine pensions-
fähige Stellung habe und so weiter. . . .

Und weil'ö nun einmal so weit ist und weil ein
Schmied schließlich auch ein Mann ist, scheint nach
langem Getobe endlich Versöhnung und Verzeihung in
Aussicht zu stehen, und die Mutter, fast in ihr Schick-
sal ergeben, stellt nur noch die letzte Frage an die
Tochter: „Aber sag mir nur gerad, wie und wo daö
hat sein können, und ich Hab doch so gut Obacht gegeben
auf dich?"

Da schluchzt die Tochter: „Salon . . . Sofa, und
weil halt da niemals niemand hineinkam. . . ."

Da wird die Mutter bleich und schreit: „IesiaS-
mariantjoseph, mein schönes Sofa, wo ich selber in
meinem ganzen Leben nur dreimal richtig draufgeseffen
bin, und das mein Stolz ist, und da legt sich der dreckigd
Lümmel, der Schmied . . . nein, alles hätt' ich dir
verziehen, aber das — nie!" W. R.

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