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Die Verfassung in bester Verfassung !

Herr Ludendorff hat Staatspensionen,

Der Arbeitslose nichts zu wohnen,

Der Kronprinz Schloß und Silberstücke,

Der Invalide seine Krücke. —

Denn laut Verfassungsworten heißt das eben:

„Vorrechte oder Nachteile des Standes sind auf-
zuheben!“

Dem Lessing haut man auf die Pfoten,

Der Film Potemkin wird verboten.

Den Gärtner steckt man in die Zelle
Wie viele Intellektuelle.

Denn die Verfassung gibt hier Unterlagen:

„Jeder hat das Recht, seine Meinung zu sagenl“

Der schwarzweißrote Bürgermeister

Und auch der Landrat (Gott, wie heißt er?),

Ja, ihre Zahl ist Legion;

Sie dienen treu der Reaktion,

Da, laut Verfassung, der Beamte sei:

„Diener der Gesamtheit, und nicht einer Partei!“

Herr Hindenburg, der teure Name,

Der machte stramm für rechts Reklame;

Nach links sprach er mit schneid’gem Hiebe:
Fünfzehn Millionen Fürstendiebe! —

Denn, laut Verfassung, schwor er mit Gebärde,

„Daß er Gerechtigkeit gegen jedermann üben
werde!“

Derselbe Hindenburg aus Eisen,

Der einst gewählt von besser’n Kreisen,

Der war mit einem Wiener Orden
(Er nahm ihn!) ausgezeichnet worden.

Denn die Verfassung darf man nicht beschämen:

,„Kein Deutscher darf Titel oder Orden an-
nehmen!“

Und Bayern, das ist ein Kapitel
Für sich, schuf fünfzig neue Titel;

Auch manche höhere Kanzlei
Betreibt noch immer Blechverleih.

Denn die Verfassung kann das nicht gefährden:

„Orden und Titel dürfen nicht mehr verliehen
werden!“

Es ließ den Volksentscheid im Osten
Der Amtsvorsteher sich was kosten;

Was irgend antinational,

Das haut er aus dem Wahllokal.

Denn die Verfassung hat er gut studiert:

„Wahlfreiheit und Wahlgeheimnis sind garantiertI“

Herrn Ehrhardt hatte man zu schirmen.

Und auch Herrn Schweikart ließ man türmen.

Man kannte nur Bewährungsfristen,

Doch niemals für die Kommunisten.

Denn laut Verfassung gilt im ganzen Reich:

„Alle Deutschen sind vor dem Gesetze gleichI“

Vor jedem teutschen Bayernflegel
Strich die Regierung gleich die Segel;

Und wo sie sich vor Rupprecht bücken,

Berlin hat nur ein Achselzücken.

Die Bayernseele hat ihr eignes Standrecht:
„Reichsrecht bricht Landrecht!“

Herr Luther hängt am Schwarzweißroten,

Das Schwarzrotgold ist fast verboten;

Auch Külz, derzeit republikanisch.

Dem dünkt Schwarzweißrotgold germanisch.

Denn die Verfassung hat es so gewollt:

„Die Farben des Reiches sind Schwarzrotgold!“

Herr Hugenberg und seine Leute
Regieren nebst dem Stahlhelm heute
Im Sinn von Hindenburg und Löbell;

Das übrige ist nichts als Pöbel.

Denn die Verfassung sagt es rund heraus:

„Die Staatsgewalt geht vom Volke aus!“

Die Hindenbürger, Geßler, Külze,

Die backen die Monarchensülze.

Schon hört man leises Hackenklappen;

Und oben hängt das Kaiserwappen.

Aus der Verfassung klingt’s wie Marschmusik:

„Das deutsche Reich ist eine Republik!“


Kundgebung des Preußischen Richtervereins zum Verfassungstag


Wir preußischen Richter haben die Verfassung
beschworen, die unsere Unabsetzbarkeit garantiert.
Eingedenk dieses Eides sind wir fest entschlossen,
an unserer Unabsetzbarkeit festzuhalten und den
weitestgehenden Gebrauch von ihr zu machen.

ln unserer richterlichen Tätigkeit wollen wir
die Bestimmungen der Verfassung genau beob-
achten. Je genauer wir sie beobachten, desto
leichter werden wir die Lücken entdecken, durch
die unser reaktionärer Geist an die Oberfläche
gelangen kann.

Von dem verbürgten Recht der Meinungsfrei-
heit wollen wir vollen Gebrauch machen. Wii
werden es dem Richter nicht nehmen lassen, nach
Gefallen Ebert als den „Sattlergesellen“ und Erz-
berger als den „größten Halunken der Welt-
geschichte“ zu titulieren. Wo hingegen im umge-
kehrten Falle den Täter, der an uns und unsern
Götzen Kritik übt, die volle Schwere des Gesetzes
treffen soll. Unbequeme Kritiker werden wir
kraft der verfassungsrechtlich garantierten Ver-
einigungsfreiheit aus unsern Reihen ausschließen.

Unsere Verfassungstreue geht zur Genüge aus
der Tatsache hervor, daß für Verleumdung
republikanischer Minister und Beschimpfung der
Reichsfarben neuerdings, soweit nicht Freispruch
erfolgte, sogar Geldstrafen bis zu 200 Mark ver-
hängt wurden. Ferner werden, seitdem Hinden-
burg im Amte ist, Beleidigungen des Reichs-
präsidenten mit größter Strenge geahndet.

Daß wir die meisten Fememorde nicht aufklären
konnten, liegt lediglich an der störenden Tätig-
keit der parlamentarischen Untersuchungsaus-
schüsse. Der Fall Haas-Magdeburg zeigt, daß wir
bei Mordanstiftung auch vor jüdischen Fabri-
kanten und tschechischen Konsulaten nicht halt
machen, sondern jeder Angabe eines völkischen
Subjekts bereitwilligst nachgehen.

Unsere volle Objektivität zu bezweifeln, heißt
danach Eulen nach Athen tragen. Wir sind die
treuen Hüter des Rechts. Deswegen bleibt
unsere Parole: Das Recht steht rechts!

Der Vorsitzende:
i. V. Mich, von Lindenhecken.

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