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Krippe

Zeichnungen von Karl Holh

Weihnachtsgeöanken eines Pessimisten

Seit meiner Kindheit scheint ein trau iger Sittenverfall
eingeriffen zu sein: die gute alte Sitte des Beschenktwerdens zu
Weihnachten wird immer mehr verdrängt durch die grobe Un-
sitte des SchenkenS.

*

Der ganze Unfug stammt anscheinend von den Heiligen drei
Königen, die dem Iesuökindlein Gold, Weihrauch und Myr-
rhen in die Krippe legten. Daraus haben sich dann die „paffen-
den Weihnachtsgeschenke" und „entzückenden Präsentartikel"
entwickelt, worunter der Käfehändler seinen Quarkkäse und der
Drogist Abführpillen versteht.

*

Übrigens will mir scheinen, daß heute die Weisen aus dem
Morgenlande verbündet mit den Weisen aus dem Abendlande

selber nichts mehr schenken, sondern den Absatz der Weih-
nachtsgeschenke rein kaufmännisch betreiben.

*

Weihnachten ist eine Institution, die unter dem Deckmantel
der Nächstenliebe in Wahrheit der Ausplünderung schwer-
geprüfter Familienväter dient.

#

Die Weihnachtsgratifikation ist der berühmte heiße Tropfen
ins Faß der Danaiden. Ihre Höhe berechnet man, indem man
zunächst die Erwartungen des Personals durch vier dividiert.
Von dem so erhaltenen Quotienten zieht man die Privatent-
nähme des Chefs ab. Falls dann noch ein Rest verbleibt,
subtrahiere man ihn um sich selbst. M. v. L.

Josef Maria Frank: Drei heilige Könige

Durch Flockengewirr und Glockenklang
stapften drei Männer die Straße entlang.

Die Kleider dünn; zerrissen die Sohlen;
in iblassen Gesichtern Augen wie Kohlen;
ein wehes Lächeln um jeden Mund.

Sie bettelten schon die zwölfte Stund’.

Sie hatten Hunger und froren sehr.

Es schleppten sich ihre Füße so schwer.

So stapften sie durch die Heilige Nacht,
ein Arbeitsmann, der nicht Arbeit gewann,
ein Bauer ohne Feld und Gespann
und ein bettelarmer Dichtersmann . . .

Sie trugen nicht Myrrhen und Wohlgeruch,
sie trugen nicht Seiden und feines Tuch,
sie trugen nicht Gold und Edelgestein,
sie trugen nicht einen silbernen Schrein,
sie trugen nicht schimmernde Waffenwehr,
sie hatten auch nicht ein Dienerheer —
sie trugen jeder ein ärmliches Kleid
und unter ihm eine Welt voll Leid.

So stapften sie durch die Heilige Nacht,

ein Arbeitsmann, der nicht Arbeit gewann,
ein Bauer ohne Feld und Gespann
und ein bettelarmer Dichtersmann , . .

Da hörten sie aus dem Schnee hervor
plötzlich ein Wimmern klingen ans Ohr;
da standen sie still und sahen ein Kind
verlassen da liegen in Kälte und Wind;
da sahen sie plötzlich eines Sternes Schein
und sprachen: Es kann der Erlöser sein? —
und zogen die Röcke sich aUs, und warm
lag darin das Kind in wiegendem Arm.

So wiegten es lächelnd, trotz Kälte und Nacht
ein Arb-^1^smanri) der nicht Arbeit gewann,
e*n- Bauer ohne Feld und Gespann
und ein bettelarmer Dichtersmann . . ,

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