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Landinus, Christophorus; Wolf, Eugen [Transl.]
Camaldolensische Gespräche — Das Zeitalter der Renaissance, 2. Serie ; 7: Jena: Eugen Diederichs Verlag, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.55590#0063
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Wenn ich nun die betrachtende Betätigung eine Bewegung
nannte, so möchte ich von dir nicht so verstanden werden, als
ob ich die Gelehrten bekämpfen wollte, welche die Betrachtung
nicht als eine Bewegung, sondern als einen Zustand der Ruhe
auffassen. Ich behaupte zwar, daß die Betrachtung eine Be-
wegung darstellt, aber nur unter der Voraussetzung, daß dar-
unter eine Bewegung im uneigentlichen Sinne des Wortes ver-
standen wird. Da unsere Seele von dem sinnlich Erkennbaren
ausgeht, um zu dem übersinnlich Erkennbaren vorzudringen,
und da die Sinne sich nicht ohne Bewegung betätigen können,
so hat man sich daran gewöhnt, auch die übersinnliche Er-
kenntnis, da man ja über die Sinneswahrnehmungen hinweg
zu ihr gelangt, als Bewegung zu bezeichnen. Ich könnte nun
bei dieser Gelegenheit sehr vieles über das Wesen der Bewegung
vorbringen, vor allem auch die scharfsinnigen Darlegungen des
Dionysius und der meisten von ihm abhängigen christlichen
Theologen26. Allein vielleicht ist euch daran weniger gelegen,
und so will ich denn fortfahren.“
„Nein, eben darüber möchte ich etwas hören“, warf Lorenzo
ein. „Findet sich doch bei dem in jeder menschlichen und gött-
lichen Wissenschaft bewanderten Dionysius nichts, das man
nicht mit dem größten Eifer sich anzueignen bestrebt sein
müßte.“
„So will ich dir also den Gefallen tun“, sagte Battista. „Und Die Be-
um nun von den Bewegungen unserer Seelen zu reden: ich sehe, wes^ngen der
daß wir drei Arten zu unterscheiden haben, eine geradlinige, Lehre des
eine kreisförmige und eine aus beiden zusammengesetzte spiral- Dionysius
förmige Bewegung. Von einer geradlinigen Bewegung reden
wir dann, wenn wir bei der Betätigung unseres Verstandes von
einem Punkte zum andern fortschreiten. Wenn wir aber so be-
wegt werden, daß immer ein und dieselbe gleichmäßige Be-
wegung stattfindet, so bezeichnen wir diese als kreisförmig. Das
Wesen der Kreislinie besteht ja darin, daß sie in ihrer Bewegung
immer den gleichen Abstand vom Mittelpunkte hält. Tritt je-
doch zu dieser Bewegung etwas hinzu, was sie aus ihrer Bahn
bringt, so wird sie infolge dieser Richtungsänderung nicht mehr
kreisförmig, sondern spiralförmig sein. Während nun die durch

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