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Landinus, Christophorus; Wolf, Eugen [Transl.]
Camaldolensische Gespräche — Das Zeitalter der Renaissance, 2. Serie ; 7: Jena: Eugen Diederichs Verlag, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.55590#0064
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Sinneswahrnehmungen verursachten körperlichen Bewegungen
die Ruhe der Spekulation stören, rufen die seelischen Bewegun-
gen nicht nur keine Störung hervor, sondern steigern vielmehr
die Ruhe in hohem Grade. Du wirst nun fragen: ,Sind nicht die
Bewegungen unserer Seelen wesensgleich mit denen der geson-
derten Wesenheiten, welche unsere Theologen als Engel be-
zeichnen, die Alten jedoch bald als Dämonen, bald als Götter an-
gesprochen haben?' Keineswegs! Ich habe gesagt, daß eine ge-
rade Bewegung in der Seele des Menschen dann stattfindet,
wenn wir von dem sinnlich Wahrnehmbaren weitergehen zu den
Gegenständen der Vernunfterkenntnis. Der Engel gelangt aber
weder auf Grund einer zusammengesetzten Tätigkeit, noch
auch, weil er in diskursiver Erkenntnis allmählich fortschreitet,
zur Wahrheit. Sondern seine ganze Erkenntnis beruht, wenn
ich so sagen darf, auf einfachem Schauen. Denn ohne Unterlaß
und immer auf dieselbe Weise, ohne Anfang und ohne Ende,
schaut er, solange er ist, Gott, ebenso wie die Kreislinie immer
um ihren Mittelpunkt läuft. Also nicht in geradliniger, wie der
Mensch, sondern in kreisförmiger Bewegung erkennt er Gott.
Eine solche Bewegung ist unseren Seelen zunächst nicht mög-
lich, und nicht eher sind sie imstande, immer dieselbe gleiche
Form der Bewegung einzuhalten, als bis sowohl jene spiral-
förmige als auch die geradlinige, diskursive Bewegung gänzlich
überwunden ist. Ist dies geschehen, dann geben sich unsere
Seelen, ohne mehr einer anderen Bewegung zu unterliegen, in
wandellosem Schauen der Erkenntnis der göttlichen Dinge hin.
Hier ist kein Irrtum mehr möglich, so wenig wie bei der Er-
kenntnis der Prinzipien, die wir ja in einfachem Schauen er-
kennen. Wenn wir uns also kreisförmig bewegen, werden wir
den Engeln gleich und ruhen aus von den beiden früheren Be-
Die Bewe- wegungen. ,Aber‘, wirst du mir nun entgegenhalten, ,Dionysius
gungen der doch auch den Engeln diese Bewegungen zugeschrieben!1
Engel Gewiß hat er das, aber in einem anderen Sinne. Bei einem Engel
wird nämlich eine Bewegung nicht in dem Sinne geradlinig ge-
nannt, als ob er in diskursiver Weise von einem Punkte zum
andern fortschreiten würde, sondern man redet von einer gerad-
linigen Bewegung dann, wenn ein höherer Engel entsprechend

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