Lessing, Gotthold Ephraim: Hamburgische Dramaturgie (Band 1) ([Bern], 1786)

Aelmire war seinszweytcS. Tilus fand kernen Veyfall ,
und ward nur ern cmzigeSmal gesprelt. Aber Iclmrre fand
desto großem; eS ward vicrzehnmal hrnter einander auf-
geführt/ und die Pariser hatten sich noch nichl daran satt
gesehen. Der Jnnhalt rst von des Dichters' eigener Er-
findung.
Ein französischer Kunstrichter H nahm hiervon Gele-
genheit, sich gegen die Trauerspiele von dieser Gattung
überhaupt zu erklären: "Uns wäre, sagt er, ein Stoff
aus der Geschichte weit lrebcr gewesen. Die Jahrbücher
der Welt sind an berüchtigten Verbrechen ;a so reich; rind
die Tragödie ist ja ausdrücklich dazu, daß sie uns die großen
Handlungen wirklicherHelden zmBewundcrung und Nach-
ahmung vorstellen soll. Indem sie so den Tribut bezahlt,
den die Nachwelt ihrer Asche schuldig ist , befeuert sie zu-
gleich die Herzen der Jetztledenden mit der edlen Begierde,
ihnen gleich zu werden. Man wende nicht ein, daßZayre,
Alzire, Mahomet, doch auch nur Geburten der Erdichtung
wären. Die Namen der beyden ersten sind erdichtet, aber
der Grund der Begebenheiten ist historisch. Es hat wirklich
Kreuzzüge gegeben, in welchen sich Christen und Türken ,
zur Ehre Gottes, ihres gemeinschaftlichen Vaters haßten
und würgten. Bey der Eroberung von Mexiko haben sich
nothwendig die glücklichen und erhabenen Kontraste zwi-
schen den europäischen und amerikanischen Sitten, zwi-
schen der Schwärmerey und der wahren Religion, äussern
müssen. Und was den Mahomet anbelangt, so ist er der
Auszug, die Quintessenz, so zu reden, aus dem ganzen
Leben dieses Betrügers; der Fanatismus, in Handlung
gezeigt; das schönste philosophischste Gemählde, das jemals
von diesem gefährlichen Ungeheuer gemacht worden.,.

*) Journal Lnc^cloxeäicpue, ^uillLt 1,62