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Licht, Hugo [Hrsg.]
Die Architectur Berlins: Sammlung hervorragender Bauten der letzten 10 Jahre — Berlin, [1877]

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https://doi.org/10.11588/diglit.19013#0012
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VI

Nur einmal ist der Versuch gemacht worden, eine Anzahl von Mieths- und Geschäftshäusern als
solche künstlerisch durchzubilden und zu einer grösseren, einheitlichen Gruppe zu vereinigen, in der
Beuthstrasse. Hier hat das organisatorische Talent der Baumeister Ende und Böckmann eine Beihe von
Häusern geschaffen, deren Fagaden zu einem gemeinsamen Ganzen zusammengeschlossen sind, innerhalb
dessen sich dasselbe Fagadensystem wiederholt. Die angewendete Stilgattung — deutsche Benaissance —
lässt bei ihrer Mannigfaltigkeit den Eindruck der Monotonie nicht aufkommen.

Der Villenbau, der schon seit den vierziger Jahren eine Spezialität Berlins war, und das für eine
Familie berechnete Wohnhaus hat auch in der neuesten Bauperiode eine besondere Berücksichtigung
erfahren. Der von der Natur am meisten begünstigte Stadttheil, der sich an die Sudwestseite des Thier-
gartens lehnt und sich von da in weiter Ausdehnung bis zum zoologischen Garten erstreckt, ist durch
zahlreiche Neubauten bereichert worden, die zu den bedeutsamsten und reizvollsten Schöpfungen der
modernen Architektur Berlins gehören. Während im Norden und Nordosten der Stadt beinahe aus-
schliesslich der Nutzbau dominirt, hat sich im Westen und Südwesten die künstlerische Phantasie unserer
Architekten in reichem Maasse entfaltet.

Auf die Entwicklung des Charakters der in Bede stehenden Bauperiode sind zwei Momente von
besonderem Einfluss gewesen: ein ideelles und ein materielles.

Nach den finanzwirthschaftlichen Grundsätzen der damaligen preussischen Staatsverwaltung hatten
sich Schinkel und seine Nachfolger bei ihren grossen Bauunternehmungen Sparsamkeit zum obersten
Prinzip gemacht. Echte Materialien — Sandstein, Marmor u. s. w. — kamen so gut wie gar nicht
zur Verwendung. Man beschränkte sich auf den einfachen Putzbau und vermied auch bei der malerischen
Decoration einen allzu bedeutenden Farbenaufwand. Letzterer Umstand resultirte freilich zum Theil aus
der inzwischen als falsch erwiesenen Voraussetzung, dass die Griechen in ihrer Architektur wie in ihrer
Plastik der absoluten Farblosigkeit gehuldigt hätten. Diese Sparsamkeit Schinkels und seiner Schüler,
deren Thätigkeit in erster Linie fast ausschliesslich dem Staate gewidmet war, übertrug sich auch auf
den Privatbau. Die geputzten Fagaden wie die Ornamente und Figuren aus Stuck deckte ein gleich-
farbiger Oelanstrich, der eine möglichst indifferente Farbe zeigte.

Nach dem wirtschaftlichen Aufschwung wollte sich die Prachtliebe und die Bivalität der reichen
Bauherren unter einander nicht mehr mit den armseligen Surrogaten begnügen. Sandstein-, Marmor-
und Kalksteinbrüche sandten ihre besten Schätze nach Berlin, es schien, als wollte die Stadt mit einem
Schlage die Sparsamkeit der beiden letzten Jahrhunderte in das Gegentheil verkehren. Nicht bloss die
Monumentalbauten wurden in echtem Material aufgeführt, auch die Fagaden der Privatgebäude wurden
von oben bis unten mit Sandstein verkleidet oder es wurden doch mindestens die Werkstücke und
Architekturtheile aus diesem Material verfertigt. Obwohl während dieser Zeit so ziemlich alle Sorten
von Sandstein in Berlin zur Verwendung gelangt sind, haben sich in dauernder Gunst nur folgende Arten
erhalten können: der sächsische (Elb-) Sandstein von Cotta, Pirna und Postelwitz von hellgrauer Farbe
mit gelblichen Adern, der Nebraer Sandstein aus den Brüchen an der Unstrut von röthlichgrauer Farbe,
der Seeberger Sandstein, der in den Seebergen bei Gotha gebrochen wird, von gelblichgrauer Farbe mit
dunkelgelben Adern, der schlesische Sandstein aus der Gegend von Bunzlau und Löwenberg von hell-
grauer, gelblichgrauer und gelber Farbe, der Wesersandstein, der bei Oberkirchen gebrochen wird,
von silbergrauer Farbe und der hannoversche Sandstein aus dem Deistergebirge von weissgrauer, gelb-
licher oder graubrauner Farbe.

Der Kalkstein wird ausschliesslich aus Frankreich bezogen. Von Marmorsorten kommen ausser
dem italienischen und griechischen vorzugsweise der schlesische und der belgische Marmor zu häufiger
Verwendung.

Der Putzbau wurde für Bauten, bei denen künstlerische Gesichtspunkte maassgebend waren,
gänzlich in den Bann gethan. An seine Stelle trat entweder der reine Backsteinbau oder der Back-
sleinbau in Verbindung mit Sandstein. Die neuerdings stark in Flor gekommene Ziegelfabrikation, deren
Producte bislang unter dem Mörtel verschwanden, war im Stande, die feinsten Verblendziegel in den
verschiedensten Farbenabstufungen von chamois bis dunkelroth zu liefern. So ergaben sich bald den
findigen Augen der Architekten aus der Nebeneinanderstellung des Sandsteins und des Backsteins in
ihrer Naturfarbe allerhand Farbencombinationen, die in den mannigfachsten Variationen verwerthet
wurden, und so emancipirte sich allmälig die Berliner Architektur von der Farblosigkeit und Zahmheit der
Schinkel'schen Epoche, die, wie wir oben gesehen, ein Ausfluss der Zeitverhältnisse war. Mit der
 
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