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Licht, Hugo [Hrsg.]
Die Architectur Berlins: Sammlung hervorragender Bauten der letzten 10 Jahre — Berlin, [1877]

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https://doi.org/10.11588/diglit.19013#0014
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VIII

formen lehnt. Neben vielen anderen Berührungspunkten, die sich zwischen unserer Zeit und dem
16. Jahrhundert ergeben, ist diese ausgesprochene Vorliebe für die Renaissance einer der bedeut-
samsten. Die Versuche, den gothischen Stil nach den Bedürfnissen der Neuzeit wiederzubeleben, die
in anderen Städten gemacht worden, haben in Berlin keinen Boden gefunden.

Die erwachende Prachtliebe der Bauherren, die Zuführung kostbarer Materialien, die Schaffenslust
der jüngeren Architekten, der erleichterte Verkehr mit Italien und Frankreich, die eifrige Publication
von Baudenkmälern der Renaissance durch Architekten und Kunstgelelirte — diese Momente haben sich
vereinigt, um die Vorliebe für den farbenfrohen und schmuckreichen Renaissancestil zu fördern und zu
befestigen. Selbst die Bekenner der einfach classischen, Schinkel'schen Richtung haben diesem neuen
Geiste nachgegeben und sich namentlich in decorativer Richtung der italienischen Renaissance genähert.

Dem Zuge der Zeit entsprechend huldigen unsere Ai'chifekten einem ausgesprochenen Eclecticismus.
Die verschiedenartigsten Renaissancemotive, wie sie die Baudenkmäler der italienischen Städte in lokaler
Eigenthümlichkeit bieten, werden verwerthet und geschickt verwebt, sodass in den seltensten Fällen von
einer direkten Nachahmung die Rede sein kann. Es ist nicht zu leugnen, dass diese Art des künstlerischen
Schaffens nicht von spontaner Inspiration getragen wird, dass vielmehr durch sie ein archäologischer,
gelehrter Zug geht. Indessen vollzog sich die Renaissancebewegung des 15. Jahrhunderts in gleicher
Weise: die grossen Träger dieser Bewegung waren archäologische Forscher in weit höherem Grade als
es die Architekten unserer Zeit sind.

Von den drei Richtungen der Renaissance hat die deutsche verhältnissmässig in Berlin die geringste
Verbreitung gefunden. Die hohen Giebel, die schmalen Strassen fronten der altdeutschen Bürgerhäuser
entsprechen nur wenig den Anforderungen der modernen Lebensweise. Wir schätzen die heitere Frei-
heit der Italiener höher als die enge Gemüthlichkeit unserer Altvordern. Am Wannensee haben Kyllmann
und Heyden den glücklichen Versuch gemacht, die Formen, der deutschen Renaissance im reinen Back-
steinbau zu verwerthen. In der Stadt sind besonders die oben erwähnten Wohnhäusser in der Beuth-
strasse von Ende und Böckmann bemerkenswerth.

Im Uebrigen lehnt sich der Backsteinbau an den Rundbogenstil mit sparsamer Anwendung von
decorativen Elementen: Gesimse, Friese, Consolen von gebranntem Thon, bandartige Ornamente von
farbigen glasirten Ziegeln, welche die dunkelrolhen oder gelben Flächen unterbrechen — darauf be-
schränkt sich die Ornamentik der wieder in Flor gekommenen reinen Backsteinbauten, welche das
heimische Material nach jahrhundertlanger Verborgenheit wieder zu Ehren bringen.

Hat auch zur Zeit, wo wir dieses Werk abschliessen, die Bauthätigkeit Berlins, so weit sie unter
künstlerischen Gesichtspunkten in Frage kommt, in Folge des wirthschaftlichen Rückschlags einen Still-
stand erfahren, so sind doch während des verflossenen Jahrzehnts genug Keime gepflanzt worden, die
eine gedeihliche, aufwärtsstrebende Entwicklung der Berliner Architekten für die Zukunft verbürgen.
Der Anstoss ist einmal gegeben, und die Bewegung ist in Fluss gerathen.

Es war nicht die Absicht des Herausgebers diese Bewegung ausschliesslich in ihren Höhepunkten
zu fixiren. Von der Publikation einiger Hauptwerke der modernen Architektur Berlins musste aus
technischen Gründen abgesehen werden, die Publikation anderer soll noch in der sich an dieses Werk
anschliessenden „Architektur Deutschlands" erfolgen. Jede kritische Absicht lag dem Herausgeber in
seiner Zusammenstellung fern. Es war ihm nur darum zu thun, ein möglichst Wechsel volles Bild von
der baulichen Entwicklung Berlins innerhalb der letzten zehn Jahre zu geben.
 
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