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bäude, ein wirkliches, existierendes, seiendes Ding — das nur um seines
Bildes halber da ist. Objektive Realität — im Dienste des subjektiven
Scheins. Dieser wurzeltiefe Widerspruch führt oft zu Abstrusitäten.
Man denke an Berninis Scala Regia: sie verschmälert sich, um län-
ger zu scheinen (Abb. 23). Bernini denkt nicht daran, welch unange-
nehme Lage entstehen würde, wenn gleichzeitig viele die Treppe hinan-
stiegen. Dies — der Gebrauch — ist ihm nicht wichtig. Wichtig ist nur
der Schein. Nicht die wirkliche Welt, nicht der reale Raum: derjenige
nur, der im Beschauer entsteht. Dies ist es, was man malerische Auf-
fassung nennt. Aber nicht vergessen sei: diese Auffassung ist dem Wesen
der Architektur fremd. Sie muß früher oder später zur Zersetzung des
Architektonischen führen. Und man geht nicht fehl, wenn man die ver-
worrene, leichtfertige und verlogene Architektur des XIX. Jahrhunderts als
Folgeerscheinung einer derartigen Auffassung ansieht, der es weniger auf
das wirkliche Gebäude, als auf den Schein, das es erweckt, ankommt.
Scheinfassaden, Scheinmaterialien — und eine dilettantische Formgebung,
die daher stammt, daß der Entwerfende es verlernt hatte, angesichts einer
eventuell flotten Zeichnung sich des wirklichen, räumlichen Gebildes klar
zu werden.
Man sieht also: Blüte der Baukunst, architektonische Malerei vor der
Renaissance. Blüte der Malerei, malerische Architektur nach der Re-
naissance.
Die Frage wird laut: Wo ist der Platz der Skulptur? Hat sie auch ihre
Blütezeit ? Gibt es eine Epoche, in welcher die Plastik es ist, die ihrerseits
die übrigen Künste beeinflußt ? In welcher Architektur sowohl als Malerei:
plastisch genannt werden kann ?
*
Eine Art Symmetriegefühl ließe es als wünschenswert erscheinen, wenn
man die Zeitspanne zwischen architektonischem Mittelalter und malerischer
Neuzeit, jene Kunstepoche also, die man Renaissance nennt, eine plastische
heißen könnte.
Diese Einstellung dünkt für den ersten Blick recht unwahrscheinlich.
Jeder weiß, daß in der Renaissance alle Künste geblüht haben. Sie hat
große Architekten, Maler in Fülle hervorgebracht. Und dennoch: es ist
kunstwissenschaftlich sehr wohl begründbar, daß die Renaissance eine
plastische Kunstperiode war.
Denn die Plastik ist die Kunst des Körpers.
Und die Kunst der Renaissance ist ebenfalls: die Kunst des Körpers.
Schon in der Wahl des darzustellenden Stoffes. In der Malerei der Re-
naissance dominiert der menschliche Körper als Darstellungsthema. Noch
wichtiger aber ist die charakteristische Tatsache, daß der Renaissancemaler

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