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Flanken der Figur Dübellöcher sehen, die für seitliche Montierungen bestimmt waren.
In Sammlungen konnten zwei Rundmedaillons mit den Geheimnissen des Rosen-
kranzes festgestellt werden, die unzweifelhaft den Stil Leinbergers dieser Zeit auf-
weisen. Danach dürfen wir mit größter Wahrscheinlichkeit die Landshuter Mutter-
gottes ursprünglich als eine freischwebende Rosenkranzkönigin ansehen, die, mit
einem Strahlenkranz umgeben, von dem ovalen Kreis eines Rosenkranzes eingefaßt
war, der wohl fünf Geheimnisse des Rosenkranzes in Rundmedaillons als Paternoster-
perlen trug und vielleicht auch noch eine metallene Lichterkrone zu Füßen aufwies.
Wir müssen also Leinbergers Muttergottes ähnlich mit vielen weiteren Beigaben an
Engelchen und Ornamenten gerahmt denken, wie den berühmten Engelsgruß von
Veit Stoß in St. Lorenz in Nürnberg, der zur selben Zeit von 1517-1518 gefertigt
wurde, oder das Rosenkranzbild auf dem Kirchberg bei Volkach von Dill Riemen-
schneider, das von 1522-1524 geschaffen wurde. Nicht zufällig gehören diese be-
rühmtesten Rosenkranzbilder - es wäre auch noch das gemalte Rosenkranzbild von
Albrecht Dürer von 1506 in Prag zu nennen - alle dieser Zeit an. Im Jahre 1474
wurde in der Dominikanerkirche zu Köln von dem fanatisch begeisterten Domini-
kaner Alanus eine Rosenkranzbruderschaft zur Verbreitung dieser Volksandacht ge-
gründet,233 und dabei auch das erste Rosenkranzbild aufgestellt. Die Bruderschaft
verbreitete sich in einer mächtigen religiösen Welle in kürzester Zeit über ganz
Deutschland und rief an unzähligen Orten solche Rosenkranzbilder als Altäre oder
freihängende Gruppen hervor. Auf diese Weise dürfte auch die Rosenkranzmutter-
gottes von Leinberger in einer der Kirchen in Landshut entstanden sein. Das Rosen-
kranzgebet erschließt das Leben Mariens in einer fast dramatischen Spannung des
betrachtenden Gebetes. Neben den Geheimnissen des „freudenreichen“ Rosen-
kranzes, die die lieblichen Geschehnisse um Nazareth und Bethlehem umfassen,
steht der „schmerzensreiche“, der sich um die Schrecknisse der Passion Christi
schlingt, und schließlich folgt der „glorreiche“, welcher der Verherrlichung Christi und
Mariä nach seiner Auferstehung gewidmet ist. Diese Spannungen und Gegensätze
nicht nur in den kleinen Reliefs der Paternosterperlen für sich zu schildern, war die
Aufgabe, die sich Leinberger setzte, vielmehr wollte er in psychologischer Erfassung
in Antlitz und Gestalt Mariens diese diametralen Gegensätze aufleuchten lassen, ein
kühnes Unternehmen, das keiner vor ihm, soviele sich daran versucht, bisher gewagt
hatte. Erst diese Erkenntnis gibt uns den Schlüssel für das geheimnisvolle Wesen
dieser hehren Frauengestalt.
Mächtig aufgerichtet und doch ein wenig überlegen lässig steht die göttliche Jung-
frau vor uns. Ganz bewußt hat der Künstler die Komposition auf Unteransicht
eingestellt. Die Figur hing hoch über dem Haupte des Beschauers und ihre Massen
verschoben sich perspektivisch bei der Ansicht von unten. Das ist auch der Grund,
warum die Figur über den natürlichen Maßstab hinaus beträchtlich nach unten
verlängert ist. Durch die Fülle der reichen Falten kommt diese Übersteigerung dem
Beschauer gar nicht zum Bewußtsein. Die starke Höhenentwicklung wirkt der an
und für sich breit angelegten Komposition entgegen. Die Figur ist nämlich von vorne

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