Die Faltengebung weist aber viel stärker auf ein anderes dekoratives Stilprinzip, Die
Bauschungen sind geblähter, die Falten derber.
Groß und selbständig entwickelt sich die Wiener Schule. Auch hier können,
nur einige wenige Andeutungen gegeben werden, nachdem wir in den Friiharbeiteu
schon näher darauf eingegangen sind. Da die Barockzeit so gut wie alles an Altären
und Einzelfiguren beseitigt hat, blieb uns nur die Grabplastik in einer verhältnis-
mäßig umfangreichen Auswahl. Sie erreicht ihre Höhe in dem „Jüngsten Gericht“
am Wiener Stephansdom.169 In diesem Werke sieht man, wie der Wiener Bewegungs-
stil, der in diesen Figuren Formen von höchstem Schwung geschaffen hat, eine an-
dere Richtung einzuschlagen beginnt. Die Komposition in ihrer dreifachen lockeren
Stufung geht weitere Verbindungen mit oberitalienischen Bildgestaltungen ein: eine
Stufe, die auch im Altar von Mauer festzustellen ist. Andererseits führt gerade
dieser Altar, der allerdings nicht von Lackner herrührt, wie Garzarolli meint, son-
dern mit Seiberl einem selbständigen Wiener Meister gegeben werden muß, die
deutsche Grundlinie dieses Stiles weiter fort. Die verwirrende Häufung, die über-
triebene Sucht nach Ausdruck erreicht allerdings erst ihren Gipfelpunkt im Zwettler
Altar (jetzt in Adamsthai bei Brünn) von Andreas Morgenstern in Budweis. Er
zeigt, ebenso wie das Werk des trotz allem Suchens noch anonymen Meisters H.L.
von Breisach und Niederrothweil, die übertriebene Eigenbrödelei einer deutschen
Sonderanlage, ein Wühlen und Suchen im Dunkeln und Abstrusen, das Aufgeben
alles Figürlichen in einem ornamentalen Verschleifen. Strzygowski hat gerade diese
Art als lang verschüttetes, allein berechtigtes, echt deutsches Grundgefühl, das in
dieser Zeit aus völkischen Tiefen sich wieder durchsetze, ansprechen wollen.170 Aber
gerade hier scheiden sich die Geister. Niemand wird das vulkanisch elementare Her-
vorbrechen einer überschäumenden Kraft weder beim Zwettler noch Breisacher Altar
verkennen. Aber eine solche Kunst auf weite Gebiete ausgedehnt, wäre unerträglich
und kann nur als einmalige fast revolutionäre Ausdrucksart hingenommen werden. Ge-
rade aus diesem Gegensatz heraus tritt das künstlerische Wollen Hans Leinbergers in
eine neue Beleuchtung. Gewiß ist auch sein Bewegungsstil echt deutschen Ursprungs.
Aber ihm war doch die Bändigung im Konstruktiven, Monumentalen, geistig
Disziplinierten gegeben. Sein eigenstes künstlerisches Geheimnis blieb, dem Beweg-
ten Halt geben zu können.
In dieser Hinsicht trennt sich Hans Leinberger von scheinbar ähnlichen, aber aus rausch-
artigen Vorstellungen schaffenden Zeitgenossen und nähert sich dem Kreis jener
wenigen, die ihre deutsche Grundanschauung, ohne sie aufzugeben, zu einer höheren,
allgemein gültigen Ordnung europäischer Bedeutung erheben. An weithin sicht-
barer Stelle hatte das Schicksal einem Albrecht Dürer und einem Hans Holbein d. J.
diese Aufgabe zugewiesen. Für das im Wesen und Wollen verwandte Wirken Hans
Leinbergers fand sich im damaligen Deutschland, fern vom Glanze europäischer
Berühmtheit, nur das kleine niederbayerische Territorium, in dessen enger Begrenzt-
heit er seine unvergänglichen Werke schuf, in dieser Hinsicht schließlich den großen
mittelalterlichen Künstlern gleich, deren Person hinter ihren Werken verschwindet.
280
Bauschungen sind geblähter, die Falten derber.
Groß und selbständig entwickelt sich die Wiener Schule. Auch hier können,
nur einige wenige Andeutungen gegeben werden, nachdem wir in den Friiharbeiteu
schon näher darauf eingegangen sind. Da die Barockzeit so gut wie alles an Altären
und Einzelfiguren beseitigt hat, blieb uns nur die Grabplastik in einer verhältnis-
mäßig umfangreichen Auswahl. Sie erreicht ihre Höhe in dem „Jüngsten Gericht“
am Wiener Stephansdom.169 In diesem Werke sieht man, wie der Wiener Bewegungs-
stil, der in diesen Figuren Formen von höchstem Schwung geschaffen hat, eine an-
dere Richtung einzuschlagen beginnt. Die Komposition in ihrer dreifachen lockeren
Stufung geht weitere Verbindungen mit oberitalienischen Bildgestaltungen ein: eine
Stufe, die auch im Altar von Mauer festzustellen ist. Andererseits führt gerade
dieser Altar, der allerdings nicht von Lackner herrührt, wie Garzarolli meint, son-
dern mit Seiberl einem selbständigen Wiener Meister gegeben werden muß, die
deutsche Grundlinie dieses Stiles weiter fort. Die verwirrende Häufung, die über-
triebene Sucht nach Ausdruck erreicht allerdings erst ihren Gipfelpunkt im Zwettler
Altar (jetzt in Adamsthai bei Brünn) von Andreas Morgenstern in Budweis. Er
zeigt, ebenso wie das Werk des trotz allem Suchens noch anonymen Meisters H.L.
von Breisach und Niederrothweil, die übertriebene Eigenbrödelei einer deutschen
Sonderanlage, ein Wühlen und Suchen im Dunkeln und Abstrusen, das Aufgeben
alles Figürlichen in einem ornamentalen Verschleifen. Strzygowski hat gerade diese
Art als lang verschüttetes, allein berechtigtes, echt deutsches Grundgefühl, das in
dieser Zeit aus völkischen Tiefen sich wieder durchsetze, ansprechen wollen.170 Aber
gerade hier scheiden sich die Geister. Niemand wird das vulkanisch elementare Her-
vorbrechen einer überschäumenden Kraft weder beim Zwettler noch Breisacher Altar
verkennen. Aber eine solche Kunst auf weite Gebiete ausgedehnt, wäre unerträglich
und kann nur als einmalige fast revolutionäre Ausdrucksart hingenommen werden. Ge-
rade aus diesem Gegensatz heraus tritt das künstlerische Wollen Hans Leinbergers in
eine neue Beleuchtung. Gewiß ist auch sein Bewegungsstil echt deutschen Ursprungs.
Aber ihm war doch die Bändigung im Konstruktiven, Monumentalen, geistig
Disziplinierten gegeben. Sein eigenstes künstlerisches Geheimnis blieb, dem Beweg-
ten Halt geben zu können.
In dieser Hinsicht trennt sich Hans Leinberger von scheinbar ähnlichen, aber aus rausch-
artigen Vorstellungen schaffenden Zeitgenossen und nähert sich dem Kreis jener
wenigen, die ihre deutsche Grundanschauung, ohne sie aufzugeben, zu einer höheren,
allgemein gültigen Ordnung europäischer Bedeutung erheben. An weithin sicht-
barer Stelle hatte das Schicksal einem Albrecht Dürer und einem Hans Holbein d. J.
diese Aufgabe zugewiesen. Für das im Wesen und Wollen verwandte Wirken Hans
Leinbergers fand sich im damaligen Deutschland, fern vom Glanze europäischer
Berühmtheit, nur das kleine niederbayerische Territorium, in dessen enger Begrenzt-
heit er seine unvergänglichen Werke schuf, in dieser Hinsicht schließlich den großen
mittelalterlichen Künstlern gleich, deren Person hinter ihren Werken verschwindet.
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