»Was ist's zuletzt mit diesen Stolzen?
Die Götterbilder standen gross, —
Zerstörte sie ein Erdestoss;
Längst sind sie wieder eingeschmolzen.«
Goethe's Faust, 2. Theil.
Zu denjenigen Antiquitäten, welche in der Vorstellung der gebildeten
Welt eine leidlich concrete Gestalt und eine Art romantischen Interesses ge-
wonnen haben, gehört jenes merkwürdige Produkt von Kunst und Mechanik,
welches den Alten als eins der sieben Wunderwerke der Welt galt: der Koloss
zu Rhodos auf der gleichnamigen Insel. Nicht nur dass wir bei seiner Erwäh-
nung sofort den Begriff übermächtiger Grössenverhältnisse mitbringen, der auch
für uns schon im Worte liegt; sondern auch eine fertige, charakteristische
Stellung ist ihm in unserer Phantasie angewiesen. D auernde Eindrücke, die
wir in leicht erreglicher Jugendzeit aus Bettuchs Bilderbuche *) oder aus anderen,
diesem entlehnten Darstellungen empfangen haben, oder eine sonstwie zu uns
gelangte unklare Ueberlieferung verweisen das gewaltige Götterbild als spitz-
winkliges Portal auf einen äquilibristisch kühnen Standort über dem Eingang
des Handelshafens, wo unter seinen ausgebreiteten Schenkeln hindurch die ScbifFe
mit vollen Masten und gestreckten Rudern ihre Ein- und Ausfahrt nähmen. Wir alle
haben wohl in unseren Knabenjahren eine glückliche Stunde erlebt, in welcher wir
uns in schwelgenden Gedanken auf das Verdeck eines Byzantischen oder Alexandri-
nischen Kauffahrers versetzten, voll Staunens emporblickend zu dem gigantischen
Lichtgott, der, am Tage als weithin ragendes Wahrzeichen, Nachts als warnender
Pharus, ein antiker Gulliver, mit eherner Ruhe und kühlstem Ausdruck unver-
änderlich herabschaute auf die ihm zwischen den Füssen auf blauer Welle
dahingleitenden Pygmäen.
Und doch ist diese ganze, fast typisch gewordene Vorstellung von solch
gespreizter Haltung der Statue über dem Hafeneingange der Stadt nichts mehr
1
Die Götterbilder standen gross, —
Zerstörte sie ein Erdestoss;
Längst sind sie wieder eingeschmolzen.«
Goethe's Faust, 2. Theil.
Zu denjenigen Antiquitäten, welche in der Vorstellung der gebildeten
Welt eine leidlich concrete Gestalt und eine Art romantischen Interesses ge-
wonnen haben, gehört jenes merkwürdige Produkt von Kunst und Mechanik,
welches den Alten als eins der sieben Wunderwerke der Welt galt: der Koloss
zu Rhodos auf der gleichnamigen Insel. Nicht nur dass wir bei seiner Erwäh-
nung sofort den Begriff übermächtiger Grössenverhältnisse mitbringen, der auch
für uns schon im Worte liegt; sondern auch eine fertige, charakteristische
Stellung ist ihm in unserer Phantasie angewiesen. D auernde Eindrücke, die
wir in leicht erreglicher Jugendzeit aus Bettuchs Bilderbuche *) oder aus anderen,
diesem entlehnten Darstellungen empfangen haben, oder eine sonstwie zu uns
gelangte unklare Ueberlieferung verweisen das gewaltige Götterbild als spitz-
winkliges Portal auf einen äquilibristisch kühnen Standort über dem Eingang
des Handelshafens, wo unter seinen ausgebreiteten Schenkeln hindurch die ScbifFe
mit vollen Masten und gestreckten Rudern ihre Ein- und Ausfahrt nähmen. Wir alle
haben wohl in unseren Knabenjahren eine glückliche Stunde erlebt, in welcher wir
uns in schwelgenden Gedanken auf das Verdeck eines Byzantischen oder Alexandri-
nischen Kauffahrers versetzten, voll Staunens emporblickend zu dem gigantischen
Lichtgott, der, am Tage als weithin ragendes Wahrzeichen, Nachts als warnender
Pharus, ein antiker Gulliver, mit eherner Ruhe und kühlstem Ausdruck unver-
änderlich herabschaute auf die ihm zwischen den Füssen auf blauer Welle
dahingleitenden Pygmäen.
Und doch ist diese ganze, fast typisch gewordene Vorstellung von solch
gespreizter Haltung der Statue über dem Hafeneingange der Stadt nichts mehr
1