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Lurker, Manfred
Der Baum in Glauben und Kunst: unter besonderer Berücksichtigung der Werke des Hieronymus Bosch — Studien zur deutschen Kunstgeschichte, Heft 328: Straßburg, Baden-Baden, 1960

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https://doi.org/10.11588/diglit.28862#0049
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und die fiinf damals bekannten Planeten (57). Die Baummenscben Boschs sind die künstle-
rische Offenbarung, daß das Symbol des Selbst auch ein Symbol der Ganzheit ist. Ftaenget
schreibt: "Bosch stemmte seinen Baumgiganten zu einem kosmischen Symbol empor, in
dem die traditionellen Vorstellungen von Schiff, Baum Ei und Mensch zu einem Einheits-
leib zusammenwachsen, in welchem Riesiges und Zwerghaftes in einer magischen Propor-
tionalität verschmelzen” (58). Fraenger vergleicht den eigenartig durchdringenden und
dabei doch fast scheuen Blick des Baummenschen mit dem zurückschweifenden Auge des
Verlorenen Sohnes, der "weit hinter sich den Fährten seines sinnlos preisgegebenen Lebens”
nachspürt. Außer Zweifel ist der Baummensch nicht nur das äußerlich sichtbare Bildzen-
trum, sondern auch seiner inneren Aussage nach das Wesentliche der ganzen "Höllendar-
stellung". Wertheim Aymbs bezeichnet das ganze Bild als Purgatorium, also als Reinigungs-
ort, in dem der als Baummensch symbolisierte Verstorbene sich selber von außen siehtund
in objektiver Schau die Geschehnisse seinesErdeniebensnochmalsdurchlebt. Eine weitere
Eigentümlichkeit dieses nachtodlichen Zustandes im Purgatorium soll sein, ”daß dieReihe
der Erlebnisse rückwärts abläuft, von der Todesstunde zurück zur Geburt. Ist dieser Weg
durchschritten und der Lebensbeginn erreicht, so fällt wie ein Schatten die von Sympa-
thien und Antipathien, von Trieben und Leidenschften durchsetzte Seelenhülle ab”. Und
dann heißt es weiter in einer durch rosenkreutzerisch-anthroposophischen Terminologie
beeinflußten Sprache - die aber, und das muß zugestanden werden, dem Werk Boschssehr
nahe kommt -: "Der vom Ich umgestaltete Wesensteil gesellt sich zum Kausalleib, das
heißt zu der Essenz des vergangenen Lebens, die wie ein ätherischer Extrakt aus dem Le-
benstableau dem Menschen nie mehr verloren geht”(59).

Der alchemistische Mensch wie Boschs Baummensch befinden sich im Zustand der Wand-
lung. Der sich in seiner Entwicklung verändemde Baum, der durch Blüte, Frucht undBlät-
terfall den auf- und abwogenden Lebensrhythmus anzeigt, wird zum Sinnbild dessichwan-
delnden Menschen. In mehreren Beispielen weist gerade Jung auf diese Bedeutung des
Baumes hin (60). Der Baum als Sinnbild des sich über den Tod hinaus wandelnden Men-
schen findet sich bereits in einem altägyptischen Märchen, das in einem Papyrus der 19.
Dynastie erhalten ist und mit dem bekaimten biblischen Josephsmotiv beginnt: Der jüngere
Bruder namens Bata weigert sich, der Frau seines älteren Bmders Anpu gefällig zu sein.
Als die Frau bei ihrem Mann die (falsche) Beschuldigung vorbringt und dieser seinen Bru-
der töten will, entmannt sich letzterer zum Zeichen seiner Unschuld und spricht zu Anpu:
"Ich gehe nun in den Zedernwald und lege mein Herz in die Blüte einer Zeder; wird sie
umgehauen, so fällt mein Herz zu Boden, und wenn du kommst, es zu suchen, wirstdu
sieben Jahre brauchen, bis du es findest. Hast du es aber gefunden, so lege es in eine
Schale mit kaltem Wasser, dann werde ich zu neuem Leben erwachen”. AIs der Baumum-
gehauen wurde, fand Anpu Batas Herz in Gestalt einer Beere. Damit wurde der Körper des
getöteten Bata wiederbelebt. Als er in der Gestalt eines Stieres ein zweites Mal getötet
wurde, wuchsen aus zwei Blutstropfen zwei Perseabäume. Der Pharao ließ die beiden Bäu-
me umhauen, dabei flog der Königin ein Splitter in den Mund; sie verschluckte ihn und
wurde vcn ihm befmchtet; Bata selbst wurde aus ihr aufs neue geboren. Die Daseinssta-
tionen Batas auf der Blüte des Zedernbaumes, als Beere, Perseabaum und neues Leben er-
weckender Holzsplitter zeigen die Rolle des Baumes als eines Instrumentes der Wandlung;
 
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