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Mannheimer Morgenblatt — 1842

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No. 157
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https://doi.org/10.11588/diglit.32620#0635
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Mittwoch den 6. Juli.

1842.


LandtagsverhKndlungcn.
Carlsruhc, t. Juli. 17. öffentliche Sitzung der Kammer. (Fortsetzung.)
Jtzstei» fahrt fort:
Doch nicht die Form dieser Zirkularien ist.cs, noch sind cs die darin enthalte-
nen Vorwürfe. gegen welche ich mich erhebe, denn über diese hat die öffentliche
Meinung längst abgcsprochcn. Es ist vielmehr der Hauptinhalt der Miniftcrschretben,
es sind die Weisungen und Vorschriften an sämmtliche Staats« und Kirchendiener,
selbst an den Lebrerstand, um mit allem Eifer und Kraft, mithin auch mit den
Kräften des öffentlichen Dienstes, im Sinne der Regierung auf die Wahlen, und
zwar g-gs die iwahlcn erster und zweiter Klaffe, also auch auf die Urwahlen cin-
zuwirken jedoch, wie freilich nur in den Zirkularien steht, auf gesetzlichem Wege
und um dadurch die Freiheit der Wahlen z» sichern.
Damit aber dieses EinwirkungS'pstcm recht gleichförmig durchgesührt werden
und in jede Hütte dringen könne, erhielten die untern Diener, namentlich die zn
diesem Zwecke mißh.ruüchieH KiHd.;:».kL, Zoeigareeii, Jäger, Hatschiere, Amts- und
Pc-irreidicncr re. gedruckte Anweisungen, auf deren Grund hin nun die Burger von
diesen rillten nicht seiten Belehrungen über ihre Wahlrechte und Pselchten, aber
auch die Bezeichnung der zu wählenden Kandidaten vernehmen muhte». Alles wie-
der, um die Freiheit der Wahlen zu sicher». Aber »och eine Hauplmastregel lNUßte
wirksamen Schrecken verbreiten, ganz geeignet, die abhängigen Staatüdiener füg-
sam und geschmeidig zu machen. Es sind dies die zu gleicher Zeit erfolgten und
nach der Versetzung des Oberhofg.rilbtsraths Peter .abgemessenen Versetzungelt dreier
Staatsdicner, welche in der Kammer nach ihrem Eide, Gewissen uno Ueberzcuqung
stimmen zu muffen geglaubt haben, Versetzungen, welche allgemeine Mißbilligung
und Unwillen im ganzen Lande, selbst bei Mnifteriellgcsinnten, erzeugten.
Demi klar lag es.vor, daß damit weder das Wohl des Landes gefördert, noch
die Kenntnisse und geistigen Kräfte der versetzten Männer zweckmäßig benutzt wur-
de». Wohl aber sind vorzügliche Talente dem Staatsdienste ganz und thellweisc
entzogen, und durch die größeren Besoldungen, weiche die aus ober» Cvllegien Ver-
setzten auf die für sie ausgeulchten nieder» AmtS'strllm nntbrachten, die zur Besser-
stellung jüngerer Beamte» bewilligten Gelder zum großen Thcile nutzlos zersplit-
tert worden. Es gebürt übrigens nur einige LcrwtiM des Menschen dazu, um
eil,mieden, daß Mittel dieser Art rillen mächtigen Eindruck auf schwache, abhängige
und anasttiche Männer machen muffen, »Nb daß auf diesem Wege dem von den
Ministern erlast,neu Aufgebote aller Diener zur Einwirkung auf die Wahlen eine
verstärkte Kraft verleihen wurde. Die Staatsbeamtem, obgleich durch die Rcscriptc
den Burgern als Regierungspartei gegen Oer gestellt, mußten gehorchen. Die Re«.
gierungs-Directorcn begannen ihre Rundreisen zn den Beamten; manche sogar zu
den einzelnen Wahlmämicrn, wie zn den von ihnen versammelten. Die Beamten
ihrerseits wandelten in ihren Bezirken herum uns- luden in ihrer Eigenschaft alS
Beamte Urwähler mu- Wablmänner ein, um sie nach den erhaltenen Instructionen
für iiiinistcreelle Wahlen zu bearbeiten.
Alle Kräfte wurden angespannt, auch die niedersten Diener dazu benutzt, alle
Triebfedern in Bewegung gesetzt, sogar Besuche zu den.Frauen einzelner Wahlmän-
ner nicht verschmäht, UNI die Majorität der aufgelösten zweiten Kammer um jeden
Preis aus den Wahlen zu entfernen, und eine miiiisterielle Mehrheit möglichst durch
Beamtenwahlcn zu erhalten.
An die Seite dieser wohlorganiürtcn Mehrbeit trat endlich auch noch die Presse,
welche ausschließlich der Miuistergewalt zu Gebote stand, und keine Silbe anfncb-
men durfte, welche vielleicht die amtlichen Einwirkungen auf die Wablen gerügt,
das Volk über seine Rechte belehrt und schmähliche Angriffe auf einzelne der frühe-
ren Oeputirtcn zurückgewiesen hätte.
Ich nhcrlaffe die Ansuhrung einzelner betrübender Einwirkungen auf die Wah-
len der Oiskusstou. Aber cs gehört zu dem Bilde der stattgehablen Wahlbeherr-
schung , hier allgemeine Umrisse derselben zu geben.
Nachdem fast in allen Bezirken die Majorität der früheren Kammer bei dem
Volke verdächtigt worden w ir, und man sogar einzelne Mitglieder derselben bezeichnet
hatte, welche in keinem Falle gewählt werden sollte» und durften, ließ man es auch
nicht an Llobllligen und Einschüchterungen der verschiedensten Art fehlen. Selbst
Drohungen von Entlassung niederer Angestellten fanden statt, wenn ffe nicht die ih-
nen auf den Züge,teilten Zetteln bezcichneten Wahlmänner wählen würden.
Den Drohungen zur Seite traten Schmeicheleien und Versprechungen von Vor-
theilcn für Stadt und Land ohne Ziel und Maaß, und alle kleinen und großen
Einwirkungsmittcl, nur sie auch hxjgxn mögen, um die ministeriellen Candidaten
durchzuführcn. '
Könnten wirklich sammtllche z„ hjrff-m Zweck gemachten Drobungen und Ver-
sprechungen in Erfüllung geben, so dürfte fast kein Amts- und kein Forstamtsfltz im
ganzen Lande auf seiner stelle bleibe,,. Sie müßten alle ohne Rücksicht auf das
Wohl des Staates und der Burger, ohne Rücksicht auf den dadurch entstehenden un-
gedenren Kostenaufwand verlegt werden und Gleiches michte geschehen mit den Ge-
richtshöfen und Garnisonen. Straßen, nach allen Richtungen hin wären neu an«
Zulegen, Eisenbahnen ln de» wunderbarsten Krümmungen zu bauen, um Wortzu halten.
Een,- der belrübendstcn Ericheinungeu war aber die Drohung gegen manche
Gemeinden „„d deren ärmere Bewohner, ihnen das, obgleich nicht selten auf Be-
sitz und «rkiinden beruhende Streu- und Holzlcscn, oft das einzige Mittel zu ihrer
und ihres Viehstanves Erhaltung nicht mehr zu gestatten, ferner die Drohung an

die Arbeiter, sie fortzuschickcn, an die Handwerker, ihnen die Kundschaft zu entzie-
hen, wenn nicht die bezcichneten Wahlmänner gewählt wurden, und als Beweis,
wie bis in das Kleinste cindringend die Durchführung des Planes betriebt» wur-
de, verdient die Thatsache Erwähnung, daß in einigen Orten sogar der Bestich von
Gasthäusern gewissermaßen den Nichtbürgcrn des Ortes untersagt wurde, weil der
mimsteriellc Candidat der Stadt unterlegen war, oder weil Versammlungen libe-
raler Wahlmänner dort stattgefundcn hatten.
Wer nicht in dem Falle war, diese Erscheinungen in der Nähe zu beobachten,
wird sie für unglaublich, ja unmöglich halten. — Aber! leider ist das ganze Volk
Zeuge derselben gewesen, und wenn ich auch gern zugebcn will, daß Manches ans
Hingebuug und übertriebener Schwäche dieses oder ienes Beamten geschehen ist, waS
incht i»-dem Willen der Negierung liegen konnte, so werden die vorgetragcnen An-
dcutuiizcn doch genügen, »m zu der Ueberzcugung zu führen, daß nur die Zirkula-
rieu der Minister und die merkwürdige Art ui>d Weise ihrer Ausführung es waren,
welche die vielen so verderblichen Erschclnnngen über das sonst so glückliche Land
hcrbeigcführt babcn.
Das Volk war erstaunt und tief ergriffen ob dieser ungeheuren Wahlbehcrr-
schniig. Es fand, ihm unbegreiflich, in den Zirkularien die imverkcnnbare Auffor-
derung und Hindcmung, kein Mitglied der Majorität der aufgelösten Kammer zn
wählen. Es sah zu dem Enke das ganze Heer der aufgebotenen Diener und An-
gestellten, einschließlich sogar der nur zur Handhabung der öffentlichen Sicherheit
bestimmten Gendarmerie, mit allen Mitteln und Kräften des öffentlichen Dienstes
sich als Regierungspartei gleichsam feindselig gegenüber gestellt. Es sah sich aus-
gesetzt stets wiederkehrenden, nie endigenden Bearbeitungen, Zudringlichkeiten, Schmes«
cheleien und Drohungen zu Gunsten der ministeriellen Kandidaten und suhlte mit
tiefer Kränkung die Gewalt durch welche mau die Bürger verhindern, ja sogar mit
Handschlag, Wort und Unterschrift, ohne Rücksicht auf eigene Ueberzcugung »uh den
bei dem Wahlakte abzulegenden Eid abzuhaltcn suchte, ihr verfassungsmäßiges Wahl-
recht frei auszmiben.
War eS also zu wundern, daß da, wo die Bürger kräftig genug waren, sich
durch solche organisirte Einwirkungen der Beamten nicht cinschüchtern zn lassen, wo
man die Stellung des Bürgers und seiner Rechte erkannte (und das war Gottlob k
' der größere Theil des Landes), und daß selbst auch da, wo die Gcmüther ängstli-
cher waren, ein tiefer Unwille sich aussprach über diese noch nie erlebten Einwirkun-
gen, über diese hundertfältigen und fast unglaublichen. Mittel zu dem vorgestecktcn
Ziele und über die in solcher Behandlung sich kimvgebendc Abwürdigung des Vol-
kes, welches gleichsam als unmündig und unfähig, einen eigenen Willen zu haben
und sein gutes Recht zn üben, von den Beamten am Gängelbande geführt werden
sollte? Muffen nicht die obersten Leiter dieser Bewegung einsehen, daß die Falle,
welche sie den Staatsdiencr» aufgedrungcn, und die feindselige Stellung, in welche
dieselben, größteiithells ihren Amtsuntergebcncn gegenüber gebracht hat-
ten, das Vertrauen der Bürger zu diesen Beamten und zn ihrer Verfassungstreue
gewaltsam zerstören, daß cs eine tiefe Kluft zwischen sic legen, sie also gänzlich von
einander trennen und in Ncgierungspartel uno Bolkspartei spalten würde? Und
war cs nicht sehr natürlich, daß alle dies« Schritte, daß die Zumuthungen und Ver-
sprechungen, welche die Beamten fortwährend den Bürgern bezüglich auf die Wah-
len machen mußten, auf die Moralität deS Volkes höchst nachthcilig wirkten, vast
sie selbst den Glauben an die Verfassungstreue der Staatsverwaltung, — indem so-
gar die Mitglieder aller Gerichtshöfe, die Richter, welche ihrer Steilung nach dein
Wahlwesen ganz fern bleiben sollten, zur Einwirkung in dasselbe aufgeforocrt wor-
den sind — nach und nach erschütterten? Daß es aber, leider! wirklich so gekom-
men, wird ein ungctrudter Blick auf das Land und die kund gewordene Stimmung
des Volkes bestätigen. Uns Demjenigen, der klar und unbefangen sehen und hören
will, bleibt kein Zweifel, daß in Folge der von mir angeführten Thatsachcn auch
das Vertrauen des Volkes auf die Schöpfer der Zirkularschrejbcn, auf die verant-
wortlichen Minister selbst gesunken ist. Meine Herren! Die Wahrheit offen und
u„geschmückt auszusprcchen, machen Zeit und Umstände zur heiligen Pflicht. Daher
fahre ich fort:
Ich sah im Jahre 1tz3t die Sonne der Freiheit hellleuchtcnd über Baden ans.
gehen; ich sah das Land unter seinem ekeln Fürsten blühend, das Volk zufrieden
und dankbar, die Negierung im gedeihlichen Zusammenwirken mit den coiistitutio-
ncllcn Gewalten vorschreitcn zur Ausbildung der Verfassung und zur Erlassung
wohlthätiger, zeitgemäßer Gesetze. - Man beneidete Baden um diese glücklich?
Stellung!
Da wurde hemmend und störend, wie ein Blitz vom heitern Himmel, jene un-
selige Urlau.'sfrage in das ruhige Land gcschlcuvert. Da erschienen ein Jahr söäter
die unheilbringenden Cirknlarschreiben der Minister und die verdeibliche Ausfüh-
rung derselben.
Uns von da an leidet das Land! von. da an fühlt sich das Volk unbehaglich,
tief aufgeregt, mißtrauisch gemacht gegen seine Beamte und sie fürchtend, mißtrau-
end gegen das Ministerium, weil es in dessen, mit seiner Regicruugs-Erklärung
vom 2g. November IKZY in de,» grellsten Widerspruche stehenden Rescrihten mit
Recht die Quelle seines jetzigen Zustandes erkennt und beklagt.
Und abermals spreche ich offen aus: Wenn je ein politischer Mißgriff und ein
Unrecht gegen das Volk von den Rathen der Krone geschehen ist, so war es die
Erlassung jener Circntarschreibcn und die ihnen gegebene Ausführung. Die schwe-
 
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