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Mannheimer Morgenblatt — 1843

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April (No. 77 - 101)
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Die ErfhütterungSFkur.
w (Sortfegung.)
3

—„Das ſcheint mir,” dachte Sir Henry — „ein luſtiges Ori-
ginal zuͤ fein, welches mich noͤthigt, eine komiſche Rolle zu ſpielen bei
der Auͤsuͤbung meiner meiſt traurigen Pflichten; die Klienten der Aetzte
Jieichen ſich doch Alle, es ſind leichtglaͤubige Egoiſten, welche ‚mit der


ſelige Beruͤhmtheit! Kaum dreißig Jahr alt, habe ich gegen ſie meine
‘ Unabhängigkeit , meine ganze Freiheit vertauſcht, ich habe Jedem das
Recht gegeben, ſich meiner faſt wie eines Knechtes zu bedienen, von
dem Tage an , wo ich auf meine Thuͤr ſetzen ließ: Doctor Henry Lowe.
Ein grauſames Geſchick iſt doch das unfrige, wir ſind die Sklaven


die ſich nicht traͤumen laſfen, daß vielieicht zu derſelben Zeit auch wir


fen: vich?leide! ich leidel! 3 2
Indem Henry dieſe Worte ſprach, barg er ſein Antlitz mit beiden
Haͤnden, offenbar von einer Erinnerung bewegt, die wohl trauiger


in dem Befuchzimmer des engliſchen Gentleman, und beachtete Fanum
den Diener, weicher mit gedaͤmpfter Stimme zu ihm ſprach: Lady
Banifter , Mylord!“ — Der Bediente verließ den Salon, Henry glaubte
das Rauſchen eines Kleides zu vernehmen, und ein leichtes Geraͤuſch,
welches nur das Herannahen einer Dame verkuͤndigte, mMachte, daß
er erzitterte und Fuͤrcht empfand. Er näherte ſich der Thuͤrſchwelle,
um die junge Patientin zu begrüßen. .. da ſtand er bloͤtzlich ſtill
und ſeine Knie wankten . .. der Name Henry entſchluͤpfte den zittern-
den Lipben Clariſſeins. und Ladh Baniſter ſtuͤrzte ohnmaͤchtig in
die Arme des Arztes, indem ſie leiſe ſprach: „Der Himmel verleihe
mir ſeinen Beiſtand!“ *

— „Clariffe!“ — rief der ungluͤckliche Doctor, indem er zu den
Fuͤßen dieſer Frau niederkniete, welche nicht im Stande war, ihn zu
ſehen oder zu hoͤren — „Clariſſe! Du befindeſt Dich hier in dieſem
Hauſe, als Gemahlin des Lord Baniſter? Iſt es kein Traum?
Kein, Du biſt es, die ich erblicke, und ich finde Dich noch immer
ſchoͤn!.. Antworte mir! Clariffe .. . Mein Name iſt Henry...
Henry Lowe der Dich ſo ſehr geliebt hat! ... Seit einem Jahre ver-
nahm ich kein Wort von Dir, erhielt ich kein Andenken von Deiner
Liebe, Undankbare! Jeden der mich anhoͤren wollte, fragte ich: „Ken-
nen Sie das fchoͤnſte Maͤdchen voͤn Edinburg? wo ift ſie? liebt ſie
mich noch?“ Man antwortete mir laͤchelnd: „Gott mag es wiffen!“ ...
Haſt Du mich vergeſſen, Clariſſe? Dein Herz ſoltte mir allein ange-


hoͤren — wer beſitzt es denn jetzt, Mylady?“ ; ;

Clariſſe oͤffnete ihre ſchoͤuen Augen wieder, ſie ſah Sir Henry an,
der auf den Knien lag, und ſprach zu ihm, das Haupt neigend:

— „Statt mich zu haſſen, vergib mir! beklage mMich! ... denn ich
lebe, ohne die Gattin des Sir Henry Lowe zu ſeyn!““

— „Mylady,“ — antwortete der junge Doctor — „vor zwei Jah-
ren war ich nichts, als ein armer Stüdent der Medicin auf der Uni-
verſitaͤt zu Edinburg; eines Abends begleitete ich mit einigen meiner
Freunde an den Ufern der Clyde einige junge Damen, welche von ei-
ner Landpartie nach Hauſe zuruͤckkehrten; ich hatte meinen Arm einem
reizenden Maͤdchen gegeben, das ich liebte; wir ſprachen Beide von


des Geheimniſſes ſucht; ich ſprach zu dem jungen Maädchen mit einer
Stimme, die vor innerer Bewegung zitterte: Ein Blick, eine Thraͤne,
ſind ſie nicht ein Geſtaͤndniß fuͤr ein weibliches Weſen? Und wenn die
Dunkelheit der Nacht verhindert, die Gedanken des Herzens in ihren
Augen zu leſen, nun! ſo wird vielleicht eine Blume zu ihren Fuͤßen
niederfallen ... In demſelhen Augenblick loͤſ'te ſich das Blumenbbu-
guet aus dem Guͤrtel des jungen Mädchens, ich ſah es in der Dun-
kelheit niederfallen und in den Wogen der Clyde verſchwinden.“

— „Der Zufall bewirkte es ohne Zweifel, daß dieſe Blumen in
den Fluß fielen,“ — unterbrach Clariſſe. H0 ‚

— Einen Monat nach der Bongüetſcene wechſelte ich mit dieſem
weiblichen Weſen, wiederum nur zufaͤllig, einen Ring, der mich ſeit-
dem nie verlaſſen hat, und der, Mylady, in meinen Augen das Zei-
chen einer heiligen Bereinigung vor Gott war. Als wir uns ſpaͤter


kunft, ſchwuren wir, mit gen Himmel gerichteten Blicken, uns zu lie-



*


ben, indem wir auf beſſere Zeiten hofften, und,troß der Entfernung,
taͤglich in Gedanken zuſammen zu ſein und mit einander zu reden.
Fuͤr Sie ſtudirte ich Mhlady, mein Studium hat mich bereits beruͤhmt
gemacht und der Rubm wird mir bald Reichthum verſchaffen; aber
Nichts wird mich in Zukuͤnft gluͤcklich machen koͤnnen. das junge
Maͤdchen pon den Ufern der Clyde, welches ich anbetete, Clariſſe Jar-
vis, hetßt jetzt Lady Edward Banifter.“ . *
—- Klag' das weibliche Weſen nicht an, Henry, bedaure ſie und


thum eines Edelmanns, die Schwaͤche einer gehoͤrſamen Tochter: das
iſt das Geheimniß der Untreue Clariſſeins! In ihren Augen glich das
Hochzeitsgeſchenk der mythiſchen Buͤchſe der Pandora ; , ohne die


— Clariſſe hat mich hintergangen, Mylady.“

‚— „Sie hat Dich geliebt! . Sie liebt Dich nicht ferner, ſie
darf es nicht, Henry, aber ſie iſt ſterbenskrank.“ ;

Ein indisfreter, uͤberlaͤſtiger Menſch oͤffnete ploͤtzlich die Thuͤr des
Beſuchzimmers; der Arzt, welcher noch zu den Fuͤßen Clariſſens lag
hielt er

— „Sir Heury Lowe in meinem Hauſe!“ — rief der ſchlaue
Gentlenian. — „Sein Sie mir willkommen, oder vielmehr ſeyn Sie
mir nicht willkommen.“ ;

— „Wie ſo das, Mylord?“

* (Fortſetzung folgt.)



Der Neuigkeitslieferant.

Ein Pariſer Redacteur erſchien, von einem ſeiner Mitarbeiter vor-
geladen, vor dem Ftiedensrichter, um eine kleine Differenz auszuglei-
chen. Monſteur Euſebe — dies iſt der Name des Zeitungslieferan:
ten — lebt von Diebereien, Raub und Moͤrdthaten, und aͤhnlichen an-
ziehenden Tagsbegebenheiten, welche ſich taͤglich in dem vielbewegten
Leben und Treiben der Rieſenſtadt ereignen. Ein Mann, der auf der


wurde; ein Criminalfall wird noch beſſer, und ſogar glaͤnzend hond-
rirt, wenn die angegebenen Details recht ſchauerlich ſind. Wenn zufaͤl—
lig ein Tag vergeht! wo ſich in Paris kein großes ungluͤck ereignet, ſo
kehrt der guͤte Euſebe verdrießlich heim, und ſpricht wie Titus: „Ich
habe meinen Tag verloren!“ Mit dem Redacteur eines der kleinern
Zournale hatte Euſebe vor Kurzem einen Vertrag abgefchloffen, nach
welchem die Loͤkalberichte nach der Zeile bezahlt werden ſollten — und
die Redaction ſah ſich mit einer ſoͤlchen Fluth von Neuigkeiten uͤber-


haͤtten ihn eben ſo viele Schritte gekoſtet, wie die gedruckten, und es
fei daher billig, in Beruͤckſichtigung der abgenutzten Schuhſohlen, auch
die ungedruckten zu bezahlen. Diefe Meinungsdifferenz führte die beiz
den Paͤrteien vor den Friedensrichter Friedensrichter: Hr. Eufebe,
welche Bedingungen haben Sie mit dem anweſenden Herrn Redakteur
feſtgeſtellt. — Eufebe: Ich ſchlug maucherlei Bedingungen vor; zuerſt
forderte ich fuͤr meine Localberichte mongtlich achtzig Frankfen, und ein
Paar Stiefel; der Herr Redakteur woͤllte meinen Vorſchlag jedoch nicht


hinweg; ich follte nach der Zeile bezahlt werden und von Stiefeln war
hinfuͤrb keine Rede mehr. Ich machte mich alfo mit dem mir eigen-
thuͤmlichen Eifer auf den Weg: ich belagerte die Depuͤtirtenkammer und
die Theater, beſuchte dier Mal taͤglich die Morgue — Fein Diebftahl
entging meinen Falkengugen, und kein Mord wuͤrde inuerhalb der Li-
nien begangen, den ich nicht binnen zwei Stunden zu Papier brachte;
durch mich iſt das Journal dieſes Herrn erſt recht intereſſant geworden,
denn ich verſtehe die Kunſt, Ailes in ein recht joviales, und pikantes
Gewand zu kleiden. Jetzt kommt es dem Hrn. Redakteur in den Stun,
einen Theil meiner offtziellen Mittheilungen, zum groͤßten Praͤjudiz ſei-
ner Abonnenten, zu caffiren — aber ich kaͤnn doch nicht daruͤnter lei-
den. — Redacteur: Ich hatte mich nur verpflichtet, die gedruckten
Artikel zu honoriren, die wenig inteteſſanten oder unverbütgten Nach-
richten aͤber behielt ich mir zuruͤlkzuweifen vor! Ich habe zufällig einige
der Letzteren bei mir; ich bitte den Htn. Friedensrichter z. D, folgenden
Artikel ſeiner Aufmerkſamkeit zu wuͤrdigen! „Geſtern hatten einige uͤbet-
wollende Subjekte die unerhoͤrte Frechheit, ſich in die zu Chren der

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