Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Mannheimer Morgenblatt — 1843

DOI Kapitel:
Juni (No. 127 - 151)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.44564#0534
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext






























*

der Storbut an Bord.
(Schluß.) /


einfaͤhren Fönnen; zitternd vor Ungeduld, fingen die Paͤtienten an zu


hin wird eine zu ſchnelle Ausſchiffung den Skorbutkranken oft lebenoͤge-
faͤhrlich.

Jedes Land, das kahlſte und unfruchtbarſte ſelbſt, hat, im Vergleich
zu der Luft auf offener See, eine duftige Atmoſphaͤre. Der Nordoſt-
wind, der unſere Fahrt treulich gefoͤrdert hatte, ſchlug jetzt nach Oſten
um und wehte uns vom Geſtade die Wohlgeruͤche der Pflanzenwelt zu.
Das Schiff ſchaukelte ſich ſanft auf den plaͤtſchernden Wogen. An Bord


und Sehnſucht hielten uns wach.

Nach Mitternacht drehte ſich der Wind nach Suͤdweſt, anfangs nur
leiſe fluͤſternd, doch ſchuell anwachſend zu pfeifendem Brauſen Die
Wogen, welche dem Schiffe in die Seite ſchlugen, wurden gefaͤhrlich;
alle Segel wurden eingerefft; wir mußten uns auf ein Sturmwetter ge-
faßt machen.

Alſo doch noch nicht am Ziele? Von Stunde zu Stunde ging die
See hoͤher endlich grante der Tag. Als die Sonne am Himmel ftand,
lag das Land ſo dicht im Wolkenſchleier, daß wir weder den Gipfel
des Berges Huchupully, noch das Kap der Halbinſel Lucay, die Kenn-
zeichen, nach denen wir ausſchauten, zu Geſicht bekamen. Bis Mit-
Endlich brach auf einen Au-
genblick die Sonne durch's Gewoͤlk; der Kapitaͤn berechnete die Breite
und ließ nun in Goͤttes Namen grade auf die Farallonnes von de Ca-
relmapu zufahren.

Nie werde ich die Angſt vergeſſen, die uns wie Alpdruck auf dein
Herzen lag und die wir uns doch gegenſeitig hinter einem gezivunge-
nen Laͤcheln zu verbergen ſuchten. Zwei Stuͤnden vergingen, bis wir
den Hafen erreichten; jeder ſuchte kaltbluͤtig zu erſcheinen, doch uns Al-
len ſtarrte das Blut in den Adern. Der Kapitaͤn raunte mir zu: Es
bleibt uns keine Wahl; zuruͤck koͤnnen wir nicht mehr; alſo voran.“
Landung oder Schiffbruch!“

Wie eiu Pfeil flog das Schiff dahin, obgleich faſt alle Segel eins
gezogen worden waren. Die ſchaͤumenden Wogen ſchlugen uͤber Dem
Verdecke zuſammen; jetzt drohte uns der Abgrund zu verſchlingen und
ſchon ſchleuderte uns eine Kammwelle wieder zum Himmel hinan. Naͤ—
her und naͤher wurden wir dem Vorgebirge Huchutucuy und der Kuͤſte


zermalmen drohten. _
Ja, Schiffbruch oder Landung!“ dachte ich. Denn bei einem folz


uns der beſte Seglex und die kraͤftigſte, tuͤchtigſte Mannſchaft zu Ge-
bote geſtanden! Wir ruͤckten alſo auf Gnade und Ungnade dem Lande
naͤher und naͤher. „„Noch zebn Faden!““ — „Goͤtt ſei uns gnaͤdig,


Aber bald ſegelten wir mit Oſt⸗Suͤd-Oſt; die Farallonnes lagen hin-
ter uns; der engliſche Hafen that ſich vor uns auf; die Inſel Seba-
ſtiana mit der großen Sandbank, wo ſo mauches Schiff den Untergang,
ſo mancher Seemann nach langer Fahrt am Ziele den Tod fand floz
gen an Backbord an uns voruͤber. Endlich kam uns das Cochinoseiland
Au Geſtchte jetzt mochte der Nerel ſich dichter und dichter um uns val-
len, wir fuͤrchteten ihn nicht wehr. Denn ſchon erſchien das Fort Agui
mf dem runden Bollwerk zu Fuͤßen am Steuerbord.! Seine Batterieen
ſind niedergeriſſen, der Baumſtamm, auf welchem einſt die Flagge
wehte⸗ iſt vermodert; in den Schitderhaͤuſern niſten die Huͤhner.

Zwei Briggs, die an der Axenesſpitze ankerten, dienten uns zur
Richtſchnur. Nachdem wir die Riffe von Pechucnra, wo das Wrack
eines Havrer Wallfiſchfahrers als Warnungszeichen mahnte, hinter uns
haͤtten „ warfen. wir neben den Briggs in einem Waſſerbecken Anker,
das friedlich wie ein Teich und glalt wie ein Spiegel dalag. — Wir
waren gerettet.

Welche Sprache koͤnnte den Gefuͤhlen, die uns jetzt erfuͤllten, Worte
Noch vor wenigen Augenblicken ſturmgepeitfcht und gefahrum-
droht auf Zod und Verderben In jeder Minute gefaßt, und jetzt den
heulenden Suͤrmen, der donnernden Brandung ruhig zuhoͤren zu koͤn—
nen am Ziele, dem heißerſehnten — welch ein Kontraſt. }

Die Alten haben dieſes Gefühl gekannt; Vrgl muß Mehnliches er-





lebt haben, das beweiſt ſein Sturmbild in der Aeneide: die ganze Un-
terwelt iſt los, da taucht Neptun aus dem Wogenſchaume enipot, er
ſchwingt den Dreizack, er ruft ſein allmächtiges: Quos ege! ... laus
ter als der Sturm und urbloͤtzlich ebnen ſich die thurmhoben Wogen,
das Geheul erſtirbt, es verwandelt ſich in Muſik; der Frieden kehrt,
die Freude, die Nettung! So war es auch uns, als die Pallas die
Anker unter dem Schutze des Areneskaps auswarf.

Als ich wieder zu Athem und Beſinnung gekommen war, blickte ich
vom Ankerylatze nach Oſten und ſuchte am Geſtade des Metengtuman

die Hauptſtadt. Welche Sehnſucht hatte ich nach einer menſchlichen Bez
hauſung! Sie war mir ſo neu, denn ach, wie lauge hatte mein Blick

auf keinem freundlichen Dache geruht.

Aber die Hauptſtadt des Chonosarchipels glich einer Toͤdtenſtadt
Weshalb? Anfangs konnte ich mir den Eindruͤck nicht erflären; doͤch
hald loͤſte ſich mir das Raͤthſel. Alleu Haͤuſern, die mir zu Geſichte
kamen, fehlte etwas; keins ſtreckte die weiße Hand zum Himmel empor,
keins zeigte einen Schornſtein, keins den kraͤuſeligen Rauch, der von
einem trautlichen Heerde, von einem behaglichem Familtenleben offen .
Zeugniß gibt.

Und doch war es kalt; uns an Bord zitterten in den dickwattirten
Roͤcken die Glieder. In Braſilien, in den Tropenlaͤndern uͤberhaußt
finde ich es in der Ordnung, daß ein Haus keinen Rauchfang und al-
ſo auch weder Kamin noch Ofen hat; aber Chiloe liegt in einem faſt
immer naßkalten Klima; es iſt gegen die rauhen Suͤdweſtwinde nicht
geſchuͤtzt; hier erſcheint eine Stadt ohne Schoͤrnſteine gerade ſo unbes
haglich, wie ſie in England oder Frankreich ſein wuͤrde. Indeß laͤnd-
lich ſittlich; die Leute erfrieren auch in San Carlos de Chiloe nicht ;
ich ſah gar reizende Toͤchter des Landes vor ihren Brazeros ſitzen.

Doch morgen die Brazeros, die Toͤchter des Landes und San-Cat-
las! Morgen das Land, morgen ſtaͤrkende Luft und geſunde Nahrung
fuͤr die armen Skorbutkranken, — morgen Freude und Friede Leben
und Seligkeit fuͤr uns Alle, welche der Geiz des Spekulanten in fv
große Noth brachte und welche die Hand des himmliſchen Vaters ſo
wunderbar errettete aus Noth und Tod, Jammer und EClend!“ — —

Eine Geſpenſtergeſchichte.
; (ESchluß)
Wie er nun an dem Monument, das aus einer Flaͤche beſtand,
die etwa anderthalb Fuß vom Boden auf vier Staͤndern aus Ziegel-
ſtein ruhte, niederkniete, war er eher geneigt, fuͤr ſeines Freundes See-


Aber von Neuem trat der Gedauke anı den Spott feiner
Er legte
den Schaͤdel auf die Tafel und griff nach ſeinem Hammer, als, indem —
er ſich umdrehte, ihm ploͤtzlich ſein Hut abgeworfen wurde. Er erhob
ſich und blickte mit jener Kuͤhnheit, welche oft die Furcht ſelber uns
einfloͤßt, ım ſich; allein Niemand war zu ſehen, weshalb er glaubte,
er habe wieder damit an einen Gegenſtand geſtoßen. Er taſtete um.
ſich und ergriff einen menſchlichen Knochen, den er mit Entſetzen von
ſich warf, und als er wieder um ſich fuͤhlte, beruͤhrte ſeine Hand einen
Dieſe eiſige Empfindung rief in ihm die lebhafteſte
Erinnerung an den Tod hervor. Er bielt es daher für beſſer erſt
ſein Werk zu vollbringen und ſeinen Hut nachher zu ſuchen! Zu die-
ſem Ende kniete er nieder und fing an, In der groͤßten Aufregung den
Schaͤdel an das hoͤlzerne Monument zu befeſtigen. Als der Nagel den
Schaͤdel durchdraug, glaubte er es zupfe ihn Jemand von hintenz alz
lein ohne ſich ſtoͤren zu laſſen, ſchlug er noch einmal mit dem Hammer
auf den Nagel, und der Schaͤdel war an das Grabmal ſeines Freun-
Wie er ſich uun erheben wollte, fuͤhlte er ſich im Na-
en feſtgehalten; eine Taͤuͤſchung war nicht möglich. „Wer Dda?“ —
fragte er laut — „Bei Gott, wenn Ihr nicht Loslaßt, ſchlage ich Euch
mit dem Hammer nieder!“ —, Keine Antwort, — „Laßt die dummen
Streiche ſein! Schurken, laßt mich los!! Und bemuͤhte ſich vergebens,
aufzuſtehen, denn er wurde noch immer ſtark und feft am Nacken ge-
haͤlten. Sein Entſetzen verwandelte ſich faſt in Wahnfinn, als er ein
Bein ausſtreckend ſich uͤberzeugte, daß Niemand hinter ihm ſtand Todt
oder lebendig,“ — rief er in einem Anfall der Furcht und der Verz -
zweiflung aus, — „ich laſſe mich nicht bezwingen,“ — und zuͤgleich
verſuchte er ploͤtzlich aufzufpringen. Allein im Augenblick nachher Iag
er bewußtlos mit dem Geſtchte am Boden. *
Inzwiſchen waren die beiden beſtimmten Stunden verfirichen, und
einige aus der Geſellſchaft ſchlugen vor, ſich nach ihm umzufehen unDd

entweihen.


 
Annotationen